© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Geschichte ohne Gesetzmäßigkeit
Wie Katastrophen das späte Mittelalter beeinflußten
Wolfgang Kaufmann

Katastrophen geschehen immer wieder – heute genauso wie in früheren Zeiten. Die Betroffenen stellen diese vor erhebliche Herausforderungen, an denen sie entweder wachsen oder zerbrechen. Zudem hinterlassen Katastrophen tiefe Spuren in der kollektiven Erinnerung oder beeinflussen gar das Denken und Handeln einer ganzen Epoche. Deshalb sollten diese Extremereignisse auch ein bevorzugter Gegenstand der historischen Forschung sein.

Doch weit gefehlt! Heute geht es vor allem um „Strukturen“ und „Gesetzmäßigkeiten“; vor diesem Hintergrund wird einzelnen Begebenheiten kaum Bedeutung zugemessen. Dazu kommt die politisch korrekte Abneigung, gesellschaftliche Entwicklungen als Konsequenz natürlicher Prozesse zu betrachten. Dabei haben Katastrophen die Entwicklung der Menschheit entscheidend mitgeprägt – man denke nur an den Ausbruch des Vulkans Thera, der das Ende einer ganzen Kultur auf der griechischen Insel Santorin besiegelte. Und der Historiker kann auch sehr viel über eine Epoche erfahren, wenn er untersucht, wie die Menschen seinerzeit mit den Folgen von Überschwemmungen, Bränden, Erdbeben, Epidemien, Mißernten usw. fertig wurden.

Ein gutes Exempel hierfür ist das trefflich ausgestattete Buch von Fouquet und Zeilinger, welches Katastrophen dieser Art behandelt, die sich im späten Mittelalter ereignet haben. Damals war der christliche Glaube noch intakt, deshalb wurden die Geschehnisse als Produkt göttlichen Wirkens betrachtet. Und daraus wiederum ergab sich dann auch der höhere Sinn der Heimsuchungen: Sie galten als Strafen für menschliche Verfehlungen. Aus diesem Grunde müssen die mentalitätsmäßigen Folgen ausgesprochen gravierend gewesen sein, denn die „Züchtigungen durch den Herrn“ fanden nicht selten in dichter Folge statt.

So berichtet eine Augsburger Chronik, daß die Stadt im Zeitraum zwischen 1417 und 1467 achtmal von Teuerungen infolge von Mißernten, siebenmal von verheerenden Epidemien, fünfmal von Wetterkapriolen wie Sturm, Hagel und Hochwasser und zweimal von Bränden heimgesucht wurde. Was werden die Zeitgenossen daher wohl über das moralische Niveau der Augsburger gedacht haben?

Gerhard Fouquet, Gabriel Zeilinger: Katastrophen im Spätmittelalter.Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2011, gebunden, 172 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

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