© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Noch eine Dekonstruktion
Der verklärte Räuberheld Schinderhannes war doch nur ein Krimineller
Karl-Heinz Schuck

War Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, tatsächlich ein deutscher Robin Hood oder ein Widerstandskämpfer gegen die verhaßte französische Besatzungsmacht? Der Erforschung des Räuberhauptmannes widmet sich seit 2011 ein eigenständiges „Forschungsportal Schinderhannes“, hervorgegangen aus der vom Hobbyhistoriker Mark Scheibe geleiteten „Historischen Kommission für die Rheinlande 1789–1815“, um den wahren Schinderhannes aus den Legenden und Darstellungen in Roman und Film anhand vielfach bis heute unberücksichtigter Quellen herauszufiltern.

Verantwortlich für die bis heute anhaltende Mythisierung sind teilweise fiktive Biographien über ihn von H.L. Breughel (ca. 1870) und Ernst Czerwonka (1890). Ein anonymer Autor veröffentlichte darauf gestützt in Form von Groschenheften einen 4.800seitigen Abenteuer- und Liebesroman. Carl Zuckmayer inspirierten diese Hefte zu seinem Theaterstück von 1927, Curt Elwenspoek („Der rheinische Rebell“ 1925) und Curtis Bernhardt (Regisseur des ersten Schinderhannes-Filmes 1927) wurden durch sie beeinflußt. In dieser Folge war Helmut Käutners Film von 1957, in dem Schinderhannes von Curd Jürgens gespielt wurde, der Endpunkt der Verklärung, die die historische Figur aus den Augen verloren hatte.

Geboren wurde Bückler wohl Ende 1779 in der Nähe von Nastätten im Taunus, der genaue Ort ist bislang unbekannt. Die Eltern mußten ihren Wohnort 1783 wegen Holzdiebstahls verlassen, und der Vater trat 1784 in die österreichische Armee ein, desertierte aber 1789; anschließend lebte die Familie von Gelegenheitsarbeiten und war häufig auf Wanderschaft. 1795 begann Johannes eine Lehre als Abdecker (Schinder) in Bärenbach. Hier kam es wohl zu seinem ersten Diebstahl, er soll seinem Lehrmeister mehrere Felle gestohlen haben – nach einem schnellen Prozeß wurde er mit 25 Stockschlägen bestraft.

Der Widerständler gegen die Franzosen war konstruiert

Kurze Zeit danach begann er zusammen mit einem Abdeckerknecht Schafe zu stehlen und an Metzgereien zu verkaufen, wofür er in Kirn inhaftiert wurde. Jedoch gelang ihm schon nach einem Tag die Flucht und er wurde von da an steckbrieflich gesucht. Ende 1796 hatte er erstmals Kontakt zu anderen im Hunsrück aktiven Räubern, die sich auf Vieh- und Pferdediebstähle in größerem Umfang velagert hatten. Bereits im Dezember 1797 war das erste Todesopfer, nach Streitigkeiten unter Kriminellen, zu beklagen; im August 1798 wurde erstmals bei einem Überfall gezielt gemordet. Ab Ende 1799 häuften sich dann Einbrüche, Raubüberfälle auf einzelnstehende Gebäude und Überfälle auf Reisende im Hunsrück.

Mittlerweile begann durch den Anschluß der linksrheinischen Gebiete an Frankreich eine nach französischem Vorbild aufgebaute Gendarmerie damit, sich dem Bandenunwesen zu widmen. Der französische Polizeiminister forderte darüber hinaus eine gemeinsame Vorgehensweise mit den Ländern der rechten Rheinseite. Der Schinderhannes, nunmehr selbst Bandenchef geworden, scharte eine Gruppe ehemaliger Komplizen um sich, als Räuberbande setzte sie sich jedoch zu jedem Unternehmen neu zusammen.

Im Sommer 1800 begann Bückler mit Schutzgelderpressungen, vorwiegend bei Juden, führte aber auch noch weiterhin Raubüberfälle aus; diesmal vor allem im heutigen Kreis Birkenfeld. In diese Zeit fällt auch der legendäre Räuberball bei Griebelschied, bei dem er in einer verlassenen Burg mit Räuberkumpanen, Dirnen und Vagabunden zu Musik und Tanz einer entführten französischen Ballerina feierte. Nun wurde die Lage für ihn aber zunehmend schwieriger, denn die Polizeikräfte setzten besonders nach dieser Provokation alles in ihrer Macht Stehende daran, seiner habhaft zu werden; aber auch in den Dörfern stieß er zunehmend auf organisierten Widerstand. Er wurde gezwungen, sich immer öfter auf rechts-rheinisches Gebiet zurückzuziehen, um seinen Verfolgern zu entgehen, kehrte aber regelmäßig zu neuen Raubzügen zurück – jedoch mit nachlassendem Erfolg, nachweisbar sind nur noch einige Pferdediebstähle.

Mit seiner Geliebten, Julchen Bläsius aus Weierbach bei Idar-Oberstein, zog er sich unter falschem Namen an die Lahn zurück, um sich in Limburg als Soldat anwerben zu lassen. Er wurde jedoch erkannt und verhaftet, nach Frankfurt überführt und dort an die Franzosen ausgeliefert. In Mainz wurden er und 67 mittlerweile inhaftierte Kumpane vor ein Tribunal gestellt, das ihn und 19 andere Angeklagte im November 1803 zum Tod durch die Guillotine verurteilte.

Da er arme Leute bei seinen Raubzügen meist ungeschoren ließ, statt dessen oft Teile seiner Beute an Mittellose verschenkte, nicht zuletzt um somit Informanten zu gewinnen und sich Schlupfwinkel zu sichern, führte dies im 19. Jahrhundert zum Bild vom edlen Räuber; sein Wirken zur Zeit der französischen Annexion der Rheinlande ließ nach dem Ersten Weltkrieg, zur Zeit der Besetzung des Ruhrgebietes, einen Widerstandskämpfer aus ihm werden. In Wirklichkeit ist er, wie die Justizakten aus Frankfurt und Mainz belegen, bei begangenen 130 Straftaten mit mindestens drei Toten, ohne Zweifel bloß ein Krimineller gewesen.

Foto: Porträt des Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, von 1803: Durch Curd Jürgens zur Heldenfigur stilisiert

Hahnenbachtal bei Schneppenbach im rheinland-pfälzischen Hunsrück: Um 1801 hausten Schinderhannes und seine Begleiter auf der halb verfallenen Schmidtburg

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