© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Fakten gegen Konstruktionen
Nachruf: Zum Tod des Historikers Peter Novick
Stefan Scheil

Es schien nicht wirklich populär zu sein, sich in den 1960ern kritisch mit dem Gemetzel zu befassen, das die zu dieser Zeit offiziell viel bejubelte französische Résistance beim Umsturz der Machtverhältnisse im Jahr 1944/45 angerichtet hatte. Ein damals junger amerikanischer Historiker machte dies dennoch zum Gegenstand seiner Doktorarbeit und hatte Erfolg. „Die Jagd nach Kollaborateuren im befreiten Frankreich“ hieß das Werk.

Der Mann hieß Peter Novick und war 1934 als Sohn osteuropäisch-jüdischer Einwanderer in den USA geboren worden. Er zeigte in seiner Promotion die brutalen Zufälligkeiten auf, die der Wunsch nach Abrechnung, verbunden mit dem Verlangen nach Durchsetzung politischer Ziele damals in Frankreich produzierte. Eine intellektuell tragfähige Botschaft war dabei nicht entstanden, jedenfalls nicht die, die in jeder Gedenkveranstaltung laut vorgetragen wurde.

Eigendynamik von Geschichtserzählungen

Die Differenzen zwischen Geschichtsbild und vergangener Realität behielt Novick stets im Auge. Das wurde von den Wendungen einer Geschichtswissenschaft zusätzlich motiviert, der zu dieser Zeit der Wahrheitsbegriff abhanden gekommen war. Daß alles nur „Konstruktion“ sei, wurde immer mehr Konsens. Auf Peter Novick kam daher ohne eigenes Zutun das Lebensthema seiner akademischen Laufbahn zu. Er erlebte als amerikanischer Akademiker hautnah die Konstruktion des Holocaust als gedenkpolitisches Instrument der Selbstvergewisserung des amerikanischen Judentums, so sah er es jedenfalls. Dies wollte er nicht unkommentiert lassen, entsprach doch die Versorgung der Öffentlichkeit mit „Sinn“ und „Deutung“ für politische Zwecke genau den Fragwürdigkeiten, die er bereits an anderer Stelle aufgezeigt hatte.

„Ein edler Traum“, hieß das große Werk Novicks, das 1988 auf die verlorene Integrität des Geschichtsbilds hinwies. Es wurde ein Aufreger, der als bestes Geschichtsbuch des Jahres ausgezeichnet wurde. 1999 platzte Novick dann mit „The Holocaust in American Life“ in den Kern der Debatte, quasi als akademische Variante von Norman Finkelsteins „Holocaust-Industry“. Es ging Novick allerdings weniger um die direkten Profiteure als um die Eigendynamik konstruierter geschichtlicher Meistererzählungen, die sich als Wahrheit präsentierten. Schon die Fragestellung war für viele ein Skandal.

Peter Novick hielt Fakten gegen Konstruktionen hoch, Intellekt gegen Politik. Am 17. Februar ist er im Alter von 77 Jahren gestorben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen