© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

„Moralisch verrottet“
Banken I: Ein früherer Manager der US-Investmentbank Goldman Sachs rechnet ab / Was folgt aus der Affäre „Muppetgate“ und der Kongreßanhörung?
Michael Wiesberg

Moralisch verrottet“: So charakterisiert Greg Smith seinen ehemaligen Arbeitgeber Goldman Sachs (GS) in einem offenen Brief in der New York Times (NYT). Der Artikel vom 14. März ist gleichzeitig so etwas wie ein Kündigungsschreiben, in dem der aus Südafrika stammende Derivatehändler dem „systemrelevanten“ Geldhaus öffentlichkeitswirksam erklärt, welche Gründe ihn bewogen haben, der Bank nach zwölf Jahren den Rücken zu kehren. Smiths Kernargument lautet, daß die Interessen der Kunden für GS bestenfalls zweitrangig seien und es nur noch um größtmöglichen Profit gehe.

Eine Entwicklung, die Smith, der zuletzt in der britischen GS-Niederlassung arbeitete, gegen seine Berufsehre geht, wie er schreibt: „Ich war immer stolz darauf, meine Kunden dahingehend zu beraten, daß sie das tun, von dem ich glaubte, daß es für sie richtig ist. Diese Haltung ist bei Goldman Sachs im steigenden Maße unpopulär geworden.“ Bei GS komme man heute dann in eine einflußreiche Position, wenn man genug Geld für das Unternehmen mache – egal wie. Das geschehe unter anderem dadurch, daß Kunden überredet würden, in Aktien oder andere Finanzprodukte zu investieren, die GS selbst versuche loszuwerden, weil sie womöglich nicht genug Gewinn abwerfen könnten.

Ein anderes Kalkül sei die „Elefantenjagd“: Damit ist eine Strategie gemeint, von vermögenden Kunden die Zustimmung dafür zu erhalten, mit dem zu handeln, was für GS – und nicht für den Kunden – den größten Profit bringt. „Es macht mich krank zu sehen, wie eiskalt darüber gesprochen wird, wie Kunden ausgebeutet werden können“, betont Smith, der darauf verweist, daß er in den letzten zwölf Monaten von fünf leitenden Angestellten gehört habe, daß sie ihre Kunden als „muppets“ (Puppen) bezeichneten, die „abkassiert“ gehören. Dieser Hinweis hat in den USA eine größere Resonanz ausgelöst: Es wird mit Blick auf den NYT-Brandbrief in Anspielung auf die Watergate-Affäre bereits von „Muppetgate“ gesprochen.

Smith hebt allerdings auch hervor, daß es „früher“ bei GS ganz anders gewesen wäre. Da sei es um Teamwork, Anstand, Bescheidenheit und um die Kundeninteressen gegangen; eine Kultur, die es ermöglicht habe, das Vertrauen der Kunden über 143 Jahre hinweg zu wahren. Unter der Führung der jetzigen GS-Chefs Lloyd Blankfein und Gary Cohn sei diese Kultur aus dem Blick geraten, was sich zur ernsthaftesten Bedrohung für den langfristigen Bestand von GS auswachsen könne: „Ohne Kunden kann man weder Geld verdienen noch existieren“, konstatiert Smith und fordert: „Sortiert die moralisch bankrotten Leute aus; ganz gleich, wieviel Geld sie für das Unternehmen verdienen.“

„Wir verrichten Gottes Werk“

Eine Aufforderung, als deren Adressaten Blankfein und Cohn unschwer zu erkennen sind. Sie erhält weiter Gewicht vor dem Hintergrund der Tatsache, daß GS im vergangenen Jahr viele Mitarbeiter entlassen hat. Blankfein und andere GS-Top-Manager hingegen erlösten vor kurzem mit Aktiengeschäften zig Millionen Dollar. Darüber hinaus steht ein Blauer Brief der US-Börsenaufsicht von Ende Februar im Raum, in dem einer Reihe von Geldhäusern, darunter auch GS, vorgeworfen wird, Kunden im Vorfeld des Ausbruchs der Finanzkrise beim Verkauf verbriefter Hypotheken die Risiken verschwiegen oder gar beschönigt zu haben. Weitere Klagen gegen Investmentbanken stehen deshalb im Raum. Kein Wunder, daß sich Blankfein bereits wenige Stunden nach Erscheinen des Smith-Artikels zu einer Stellungnahme genötigt sah, in der er lakonisch betonte, daß „die Behauptungen dieser Person nicht unsere Werte und unsere Kultur reflektierten“ und es bedauerte, daß „eine individuelle Meinung von einer Zeitung verstärkt“ worden sei.

Aufschlußreich bleibt in diesem Zusammenhang die Aussage von Blankfein vor dem Untersuchungsausschuß des US-Senats. Dort wurde er vom Ausschußvorsitzenden, dem demokratischen Senator Carl Levin, mit folgender Frage konfrontiert: „Sehen Sie keinen Konflikt darin, jemandem etwas zu verkaufen, um dann gegen dasselbe Wertpapier zu wetten, ohne dies dem Käufer ihres Produkts offenzulegen?“ Nach Ansicht von Beobachtern verhielt sich Blankfein bei dieser Frage so, als wäre ihm eine derartige Sichtweise – nämlich sich in die Position des Kunden zu versetzen – völlig fremd. Levin insistierte und konnte Blankfein schließlich zu der unverfrorenen Aussage bewegen: „Nein, im Kontext von Kaufmänovern zur Weckung von Nachfrage nach Wertpapieren ist das kein Konflikt.“

Aussagen wie diese und die vielen Details, die über das Geschäftsgebaren von GS mittlerweile bekannt geworden sind, aber auch die Erklärung von Lloyd Blankfein, als Banker nur „Gottes Werk“ zu verrichten, haben GS nachhaltig ins Gerede gebracht; in den Medien wird diese Wendung gerne als Aufhänger für Satiren über den GS-Vorstandschef genutzt. Zu nennen wäre hier Andy Borowitz, der im April 2010 in der Internetzeitung Huffington Post behauptete, elf angeklagte somalische Piraten hätten vor einem US-Gericht ausgesagt, für GS zu arbeiten: „Wir verrichten Gottes Werk. Wir arbeiten für Lloyd Blankfein.“ Die Piraten betonten, so Borowitz karikierend, sie hätten nur Schiffe von Reedereien angegriffen, auf deren Kursverluste GS gewettet habe.

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