© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

In besserer Verfassung
Südtirol: Die Unabhängigkeitsbewegung erhält mit einem Verfassungsentwurf der Freiheitlichen neuen Auftrieb
Lukas Steinwandter

Italiens öffentlicher Schuldenberg wächst und wächst. Bis zum Anfang dieses Jahres hatte die Zentralregierung in Rom fast zwei Billionen Euro angehäuft. Jenseits der Sparanstrengungen des parteilosen Ministerpräsidenten Mario Monti ist davon auch die Zukunft Südtirols betroffen. Bisher muß die wirtschaftsstarke Region einen großen Teil ihrer Einnahmen an Rom abführen, ohne daß sich bei den Autonomierechten in den vergangenen Jahren viel bewegt hätte.

Die Freiheitlichen um Ulli Mair und Pius Leitner wollen an diesem Zustand nicht länger festhalten und sorgten in der vergangenen Woche für einige Furore. Im Beisein nahezu des gesamten Landesvorstands und der Parteiführung legten sie einen Verfassungsentwurf für einen Freistaat Südtirol vor. Maßgeblich ausgearbeitet wurde er von Peter Pernthaler. Der Innsbrucker Universitätsprofessor betonte, die vorgestellte Freistaat-Lösung beruhe „auf dem völkerrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrecht“. Vorgesehen ist darin unter anderem eine „ethnische Partnerschaft“ zwischen der deutschsprachigen Mehrheit und der italienischsprachigen Minderheit. Besonders letztere müsse dabei ausführlich über die geplante Verfassung informiert werden. Legitimiert werden soll das Ganze durch eine Volksabstimmung. Damit die „völkerrechtliche Durchführung des Projektes auf friedlichem Weg“ stattfindet, müßten Verhandlungen mit Italien und Österreich geführt werden.

Schutz der italienischen Minderheit

Der Verfassungsentwurf setzt dabei ganz bewußt auf viele Werte und Traditionen, denen in Südtirol ein hoher Stellenwert eingeräumt wird: Freiheit, Brauchtum, Kultur und Glauben. Diese Werte ziehen sich fast durch die gesamten 88 Verfassungsartikel. Schon in der Präambel wird die Verantwortung vor Gott und den Menschen hervorgehoben. Auch auf die kulturelle und geistige Einheit des Landes Tirol wird Bezug genommen.

Die ersten Artikel behandeln das Staatsgebiet, das Staatsvolk und die Regierungsform. Das Staatsgebiet ist das Land Südtirol in seinen derzeit bestehenden Grenzen (Art. 2). Der Freistaat schützt die Gleichberechtigung und Identität der deutschen, italienischen und ladinischen Sprachgruppen (Art. 4). An der Spitze des Freistaates steht eine Staatsregierung mit Ministerpräsident.

Die Zusammensetzung erfolgt nach ethnischem Proporz gemäß Vertretung im Landtag (Art. 44). Bei einer Zustimmung durch die Bevölkerung müßte noch der Landtag der Verfassung gemäß Artikel 87 und 88 zustimmen. In diesen wird die Umwandlung der Gesetze sowie der Ablauf und die Gültigkeit der Volksabstimmung erklärt. Die rechtsstaatliche Demokratie mit Gemeindeautonomie entspreche dem politisch-staatsrechtlichen System Südtirols und der Europäischen Union.

Warum dieses „Los von Rom“? Das Parteipräsidium der Freiheitlichen grenzte die Freistaat-Lösung gegenüber drei weiteren Alternativen ab: der nicht näher definierte „dynamischen Autonomie“, wie sie die SVP anstrebe, Quasi-Staatlichkeit einer Europäischen Region nach dem Vorbild einiger Inseln von EU-Staaten (Madeira, Grönland) oder Beibehaltung des jetzigen Zustands. Diese berge jedoch die Gefahr einer „Ver-Elsässerung“ der Südtiroler Gesellschaft. Der Landessprecher der Freiheitlichen Jugend, Michael Demanega, sagte gegenüber der JF, Italien höhle die Autonomie Südtirols heute ständig aus.

„Unser Finanzhaushalt wurde mehrmals beschnitten, und es vergeht kein Tag, an dem wir nicht vors Verfassungsgericht ziehen müssen, um unsere Kompetenzen und Interessen durchzusetzen.“ Auch der Wunsch nach einer „echten Föderalisierung, bei welcher Kompetenzen von den Staaten auf die Regionen verlagert werden, sei mehr als fraglich.

Südtiroler Volkspartei übt scharfe Kritik

Wir erleben heute angesichts von Staatspleiten und Finanzpaketen eine Rückkehr zu den sogenannten „Nationalstaaten“, bekräftigte Demanega. Der Freistaat sei somit eine gute Möglichkeit, eine wirkliche Gleichberechtigung zwischen den unterschiedlichen Sprachgruppen herzustellen und die ethnischen Frontstellungen zu verlassen. „Wir Freiheitlichen fühlen uns jeden Tag bestärkt, daß ein Freistaat Südtirol als unabhängiges Land im Herzen Europas Zukunft hat. Dieses politische Projekt kann man nicht erkaufen, man muß es gemeinsam mit allen drei Volksgruppen gründen und durchsetzen“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Freiheitlichen im Südtiroler Landtag, Ulli Mair.

Bereits kurz nach der Ankündigung meldete sich die mit absoluter Mehrheit im Regionalparlament regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) zu Wort. Landessekretär Philipp Achammer bezeichnete die Freistaat-Lösung als „Wunschdenken fernab der Realität“. Die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine einseitige Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes seien nicht gegeben. Stattdessen wolle die SVP die Vollautonomie als einzig realistisches Modell zur Diskussion stellen. Nur durch Verhandlungen mit Italien könne mehr Eigenständigkeit für Südtirol erreicht werden. Die Volkspartei sieht die Autonomie deswegen als alternativloses Modell.

Auftrieb könnten die Freiheitlichen mit ihrem Plan allerdings erhalten, wenn die Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands oder Kataloniens von Erfolg gekrönt werden.

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