© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012


„Die Veteranen sind keine Verbrecher“
Lettland: Der von Russen dominierte Rigaer Stadtrat versuchte erfolglos, das Gedenken an lettische Waffen-SS-Soldaten zu verhindern
Henning Hoffgaard

Im russischen Außenministerium ist man sichtlich aufgebracht: „Der himmelschreiende Versuch, die Greueltaten der Nazis neu zu interpretieren und die Beschlüsse des Nürnberger Tribunals, das die SS-Mitglieder verurteilt hatte, neu aufzufassen, muß unweigerlich Empörung auslösen.“ Doch damit nicht genug, die staatliche Moskauer Nachrichtenagentur Ria Novosti wollte gar eine „weltweite“ Aufregung ausgemacht haben. Ziel der wenig diplomatischen Angriffe war der jährliche Gedenkmarsch von lettischen Veteranen des Zweiten Weltkrieges. Die demonstrieren traditionell am 16. März in Rigas Innenstadt. Damit wollen sie an die Kämpfer erinnern, die an der Seite der Wehrmacht gegen die Rote Armee kämpften.

Nur wenige Dutzend Gegendemonstranten

Vorausgegangen war in diesem Jahr ein juristisches Tauziehen. Erst wenige Stunden vor Demonstrationsbeginn kippten die Richter das Veranstaltungsverbot des Rigaer Stadtrates unter Bürgermeister Nils Ušakovs, der zugleich Vorsitzender der Partei „Zentrum der Harmonie“ ist. Diese stellt seit den Wahlen 2011 die größte Fraktion im lettischen Parlament und rekrutiert ihre Wähler vor allem in der russischen Minderheit.

Ušakovs, selbst russischer Abstammung, versucht seit einiger Zeit, das Gedenken an die lettischen Kämpfer in der Waffen-SS zu verhindern. Dieses Jahr führte das von Russen dominierte Stadtparlament angebliche Sicherheitsbedenken an und scheiterte damit erneut. 1.200 Polizisten wurden schließlich eingesetzt, um eine Störung des Gedenkmarsches durch Linksextremisten zu verhindern. Von denen fanden sich allerdings nur einige wenige Dutzend ein, die zum Teil Kostüme von KZ-Insassen trugen.

Im Vorfeld hatte Innenminister Rihards Kozlovskis allerdings eine große Anzahl von Einreiseverboten verhängt, um „Abenteuerlustige oder Hooligans“ von der Demonstration fernzuhalten. Allein 116 Ausländer, darunter viele Russen, wurden im Januar und Februar dieses Jahres deswegen zu unerwünschten Personen erklärt.

Der Gedenkmarsch selbst lief wie in den vergangenen Jahren friedlich ab. Unter lettischen Fahnen zogen etwa 2.000 Menschen, viele Veteranen, aber auch einige Jugendliche, zum Freiheitsdenkmal und legten Blumen nieder. Der 16. März ist für sie ein besonderes Datum. 1944 kämpften an diesem Tag die beiden lettischen Waffen-SS-Divisionen zum ersten Mal im selben Frontabschnitt gegen die Sowjets, konnten einen Durchbruch der Roten Armee jedoch nicht verhindern. Nach dem Ende der Sowjetunion feierten die Letten an dem Datum den „Gedenktag der Legionäre“. Kurzzeitig sogar als offiziellen Gedenktag, bis die Regierung ihn auf Druck Rußlands wieder aus dem Kalender strich.

Kritik kam auch aus Reihen des „Europäisch-jüdischen Parlamentes“ aus Straßburg. Die 140 jüdischstämmigen Abgeordneten aus 47 Ländern, die sich Ende Februar konstituiert haben und „jüdische Interessen vertreten wollen“, warfen den Demonstranten vor, Kriegsverbrechern zu gedenken. Die Letten wollten sich dem Druck nicht beugen. „Es haben so viele Menschen ihr Leben für die Zukunft Lettlands verloren. Ich sehe keinen Grund, dies zu leugnen“, betonte Staatspräsident Andris Berzins. Wer die Veteranen deswegen als „Kriminelle“ bezeichnet sei schlicht verrückt.

Diese Äußerungen zeigen, wie wichtig den Letten die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte ist. Nachdem das Land 1939 und 1940 von Stalin besetzt worden war und Zehntausende Menschen in sowjetische Lager deportiert wurden, empfing die Bevölkerung die einrückenden Wehrmachtstruppen meist als Befreier. Dies änderte sich auch mit der beginnenden Judenverfolgung nicht.

Fast 150.000 Letten kämpften freiwillig an der Seite der Deutschen schließlich gegen die Sowjets. Sie hatten dabei nicht die Möglichkeit, in regulären Wehrmachtsverbänden zu dienen, sondern nur in den Grenadierdivisionen der Waffen-SS. Diese müssen von den Vernichtungskommandos der SS unterschieden werden. Partisanen setzten den Kampf gegen die kommunistischen Besatzer noch bis in die fünfziger Jahre fort. Wie viele im Untergrund kämpften, ist bis heute unklar. Mehr als 200.000 Letten wurden verhaftet, deportiert oder gleich ermordet. Zugleich wurden Hunderttausende Russen in dem Land angesiedelt.

Die Spuren dieser Verdrängungspolitik haben sich tief in das lettische Bewußtsein eingemeißelt. Es sei den Soldaten im Zweiten Weltkrieg nur darum gegagen, sagt ein Veteran am Rande der Demonstration zu westlichen Journalisten, die Freiheit zu verteidigen.

Foto: Blumenmeer vor dem Freiheitsdenkmal: Weltkriegsveteran gedenkt seiner gefallenen Kameraden

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