© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Grüße aus Rom
Peking am Tiber
Paola Bernardi

Gerade noch haben die Touristen den feierlichsten und schönsten Kirchenraum in Rom, Santa Maria Maggiore, besichtigt. Sie haben die Mosaiken bestaunt und vor dem Grab Berninis Blumen niedergelegt. Doch reicht nur ein winziger Umweg und die Ewige Stadt ist verschwunden: Der Besucher befindet sich mitten in China!

Es ist, als habe er ein gelbes Tor in der Befestigungsmauer durchschritten. Hier, im urrömischen Stadtteil Esquilin, auf einem der sieben Hügel von Rom, von wo aus Kaiser Nero auf das brennende Rom geschaut haben soll, ist eine eigene chinesische Stadt entstanden. Es gibt Restaurants, Hunderte von Billig-Boutiquen mit dem gefälschten Qualitäts-etikett „Made in Italy“. Es gibt Telefoncenter und Wechselstuben. Auch Kliniken, Apotheken und Akupunktur-Salons findet man – alles in chinesischer Hand. Die römischen Mieter in den Palazzi sind fast alle verschwunden, es gibt fast nur noch Chinesen.

„Sie sind fast unsichtbar, reisten mit dem Touristenvisum ein und tauchten dann unter.“

Die Mehrzahl der Chinesen kommt aus der Provinz Zhejiang. Es sind genügsame Einwanderer; sie schuften Tag und Nacht. Chinas Wirtschaftsmodell hat hier am Tiber Fuß gefaßt und boomt, vor allem dank der Arbeitsbedingungen aus der alten Heimat in Gestal gesetzlos niedriger Löhne, überlanger Arbeitstage und bedingungsloser Disziplin. Integration findet nicht statt.

Offiziell leben 12.000 Chinesen legal in Rom, doch man schätzt, daß es längst 25.000 sind. Die Mehrzahl lebt ohne gültige Papiere, ohne öffentliches Leben. Sie sind fast unsichtbar, reisten mit dem Touristenvisum ein und tauchten nach Ablauf unter. Dabei bleibt die Zahl der offiziellen Aufenthaltsgenehmigungen fast konstant. Keiner kam, keiner ging – keiner starb. Es scheint, daß die römischen Chinesen „unsterblich“ sind.

Schon mehrfach hat die Polizei eine Sonderkommission eingesetzt. Man vermutet, daß die Papiere von Verstorbenen, die heimlich beseitigt werden, an jüngere Landsleute weitergegeben werden. Die Stadtverwaltung hat gar den Gasverbrauch geprüft, man hoffte so auf illegale Krematorien zu stoßen. Doch ergebnislos. Niemand konnte das Geheimnis lüften.

Die Chinesen selber behaupten, wenn sie alt und gebrechlich werden, würden sie in ihre Heimat zurückkehren. Doch es kursieren auch die Gerüchte, daß die Toten in Noppenfolie und Kartons nach China geschickt würden, damit ihre Seele Frieden fände. Auf den römischen Friedhöfen findet man kein einziges chinesisches Grab.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen