© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

„Die werden sich eine blutige Nase holen“
Thilo Weichert zählt zu den bekanntesten Datenschützern Deutschlands. Der ehemalige Grünen-Politiker wurde mehrfach für das Amt des Bundesdatenschutzbeauftragten vorgeschlagen. Vor allem sein Kampf gegen den Internetriesen Facebook machte ihn bundesweit bekannt.
Moritz Schwarz

Herr Dr. Weichert, „die Privatsphäre ist eigentlich tot“, sagt der amerikanische Facebook-Kritiker Jason Zada. Wofür kämpfen Sie also noch?

Weichert: Diese Aussage ist dumm und falsch und hätte zur Folge, daß den Datenverarbeitern – von den Sicherheitsbehörden bis hin zu privaten Betreibern wie Facebook – das Feld überlassen würde. Richtig ist, daß in den USA Datenschutz einen immer größeren Stellenwert bekommt, daß die Europäische Union ein wirksames harmonisiertes Datenschutzrecht anstrebt, das indirekt weltweit Wirkungen entfalten wird, daß in Deutschland eine intensive Datenschutzdebatte geführt wird, bei der die Privatheitsgegner politisch schlecht dastehen, und daß wir Datenschutzbehörden verstärkt auch mit Sanktionen Datenschutz gegenüber großen Unternehmen erzwingen.

„Der Datenschutz in Europa ist ziemlich egal. Die können eh nichts machen. Wir interpretieren Gesetze, wie wir es wollen“, so zitiert die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ den US-Sprecher von Facebook.

Weichert: Sollte das Zitat zutreffen, so ist das Ausdruck einer absolut undemokratischen, ja man kann sogar sagen kriminellen Einstellung. Zugleich ist es nichts anderes als lautes Pfeifen im Walde. Facebook hat vielleicht viele Nutzende und viel Geld. Facebook wird sich aber schon mittelfristig eine blutige Nase holen, wenn es sich mit der EU und demokratisch verabschiedeten Gesetzen anlegen möchte. Übrigens: Die Kritik an Facebook wird auch in den USA lauter.

In 22 Fällen hat die Studentengruppe „Europe vs. Facebook“ 2011 in Irland, dem Europa-Sitz von Facebook, gegen den Internetriesen Beschwerde in Sachen Datenschutz eingelegt. Ergebnis: Ein 250 Seiten langer Bericht – ohne echte Konsequenzen. Da erscheint die Schlacht doch aussichtslos.

Weichert: Nein. Wir haben in den neunziger Jahren Microsoft anläßlich der Auseinandersetzung um Digital-Rights-Management-Systeme dazu gebracht, auf Datenschutzkurs umzuschwenken. Wir haben mit unseren Aktionen seit 2008 Google dazu gebracht, bei Street View und Analytics auf den Datenschutz zuzugehen. Wir sind jetzt dabei, in einem rechtsstaatlichen Verfahren, Google von seinen neuen Geschäftsbedingungen herunterzuholen. Und unsere Akte Facebook ist gerade erst richtig geöffnet worden. Der irische Datenschutzbeauftragte, die Arbeitsgruppe der europäischen Datenschützer und wir hier in Deutschland haben Verfahren am laufen, mit denen Facebook zurück in die rechtlichen Schranken gewiesen werden soll. Unser Problem als Datenschutzbehörden ist, daß wir von Teilen der deutschen Politik, unter anderem von Innenminister Friedrich, nicht die Unterstützung bekommen, die wir bräuchten.

Inwiefern?

Weichert: Die Politik hat die Notwendigkeit zum Handeln immerhin erkannt, etwa in der letzten Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene. Daß den Ankündigungen aber keine beziehungsweise zu wenige Taten folgen, wird sicher von der Öffentlichkeit nicht mehr Lange akzeptiert werden. Die Medienresonanz zum Datenschutz in Europa und speziell in Deutschland ist derzeit – verglichen mit der Zeit vor 2008 – nämlich enorm.

In der Vergangenheit waren Sie als Bundesdatenschutzbeauftragter im Gespräch, aber wegen Ihrer stark bürgerrechtlichen Haltung offenbar nicht durchsetzbar.

Weichert: Ich wurde vor knapp drei Jahren einstimmig als Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein vom Landtag bestätigt. Die Durchsetzung des Datenschutzes in der Politik ist nicht ganz einfach, zumal viele Politiker mit dem technischen Fortschritt und den sich daraus ergebenden Zwängen noch zu wenig vertraut sind. Dies ist auch ein Generationenproblem, das sich vielleicht im Laufe der Zeit verringert. Generell gilt: Jedes Land und jede Gesellschaft bekommt den Datenschutz, den sie sich im Rahmen eines demokratischen Verfahrens leistet. Deshalb sind alle demokratischen Kräfte bei Besetzung und Ausstattung der Datenschutzbehörden mit in der Pflicht.

Dank Ihnen gab es im letzten Jahr immerhin die Debatte um die „Gefällt mir“-Funktion bei Facebook. Wieso ist die Problematik erst so spät offenbar geworden?

Weichert: Das Problem war und ist die technische Komplexität und Intransparenz von Angeboten wie denen von Facebook auf der einen Seite und die katastrophale Ausstattung der Datenschutzbehörden auf der anderen Seite. Wir haben noch viele andere Themen zu bearbeiten. Um so wichtiger ist es, unser Engagement so effektiv wie möglich zu gestalten und arbeitsteilig vorzugehen. Dies hat zum Beispiel jetzt dazu geführt, daß die französische Aufsichtsbehörde CNIL für uns alle in Europa die Diskussionsführung bei den Google-Geschäftsbedingungen übernommen hat. Auch in Deutschland verständigen wir uns immer wieder auf eine möglichst effektive Kooperation und Koordination.

Immer wieder haben Sie solch kleine Erfolge erzielt, etwa Facebook von den Seiten des Landes Schleswig-Holstein fernzuhalten. Aber, zugespitzt formuliert, wenn sich nun auch der Landkreis Friesland in Nieder-sachsen von Facebook zurückzieht, beeindruckt so was den Internetriesen?

Weichert: Ich bin nicht so blauäugig, um nicht zu erkennen, daß derzeit Nutzende den Facebook-Angeboten noch hinterherrennen. Das hat dazu geführt, daß selbst der Ministerpräsident und die Industrie- und Handelskammer in Schleswig-Holstein meinen, unter Mißachtung der Gesetze auf Facebook nicht verzichten zu können. Ich muß daran erinnern, daß wir erst vor einem halben Jahr mit unserer Kampagne zum Datenschutz bei Facebook begonnen haben. Langer Atem ist auch in unserer kurzlebigen globalen Informationsgesellschaft nötig. Gerade hat das Berliner Landgericht festgestellt, daß die Freunde-Suchmaschine von Facebook gegen geltendes Recht verstößt. Nach meiner Ansicht ist etwa diese Entscheidung nur der Auftakt weiterer Gerichtsentscheidungen. Vor dem Verwaltungsgericht Schleswig sind derzeit wichtige Prozesse anhängig, an denen meine Dienststelle beteiligt ist. Mein Glaube an die Rechtsstaatlichkeit ist in dieser Angelegenheit nicht erschüttert.

Der „Kress-Report“ kritisiert Sie: Datenschützer Thilo Weichert, der sich „oft mit markigen Sprüchen hervortut“. Zeigt diese Einschätzung nicht, daß mancher Journalist Ihre Zuversicht beim Kampf um den Datenschutz nicht teilen kann?

Weichert: Natürlich habe ich Verständnis auch für die Skepsis mancher. Es gibt genügend Gründe für Verzagtheit, Angst und Resignation. Aber ich muß mir das nicht zu eigen machen. Und wir Datenschützer in Europa haben auch im Ansatz keinen Anlaß, in dieses Lamento einzustimmen. Dafür sind unsere Argumente und die vorhandene politische Unterstützung einfach schon zu stark. Wenn wir am Ende nicht alles durchsetzen sollten, was wir für richtig ansehen, wäre das ein Resultat, mit dem wir in der demokratischen Auseinandersetzung immer rechnen mußten.

Nun versucht die EU das Problem in den Griff zu bekommen. Kann das gelingen?

Weichert: Ich bin kein Hellseher. Ich sehe aber keinen Grund, weshalb sich am Ende die besseren Argumente nicht durchsetzen sollten. Daß es aus den EU-Mitgliedstaaten und auch aus Deutschland derzeit noch Widerstände gibt, ist einem eher rückwärtig gerichteten Beharrungswunsch zuzuschreiben und kann wohl mit einer gemeinsamen Kraftaktion in intensiven Diskussionen überwunden werden.

Konkret: Was können wir Europäer überhaupt gegen die Datenpolitik von Facebook oder Google unternehmen?

Weichert: Wir Aufsichtsbehörden können die Einhaltung des Rechts einfordern. Die Politik sollte dafür die nötigen rechtlichen Instrumente bereitstellen, so wie dies jetzt mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung geplant ist. Und die europäischen Nutzenden sollten auf verbraucherfreundliche Alternativen ausweichen. Der Verlust an Nutzenden und Profit führt selbst bei Riesenkonzernen schnell zur Vernunft und verbraucherfreundlicherem Verhalten.

Allerdings, der Datenschutz in Deutschland ist strenger als in den meisten EU-Ländern. Also kann eine Harmonisierung doch nur mit einer Schwächung der Maßstäbe enden, die derzeit bei uns gelten. Wäre daher eine nationale Lösung nicht vorzuziehen? Weder müßte man dann auf die EU warten, noch Kompromisse machen.

Weichert: Es ist richtig, daß wir in Deutschland ein ganz brauchbares Datenschutzrecht haben. Aber viele Vorschläge der EU-Kommission würden eine massive Verbesserung mit sich bringen, etwa bei den Sanktionen, aber etwa auch beim Abbau intransparenter und unpraktikabler Spezialregelungen. Die EU-Verordnung wird noch Raum für nationale Lösungen lassen, soweit dies aus Subsidiaritätsgründen nötig und aus Praktikabilitätsgründen sinnvoll ist. Das dürfte den europäischen Wettbewerb zwischen den Mitgliedsländern um einen möglichst guten Datenschutz stärken.

Letztlich steht hinter Anbietern wie Facebook oder Google freiwillig oder unfreiwillig doch die Mehrheit: Nur wenige Verbraucher kümmern sich um Datenschutz, die meisten aber nutzen nur zu bereitwillig deren Dienste. Haben also Facebook und Co. im Grunde nicht de facto die „demokratische“ Mehrheit auf ihrer Seite? Ist das nicht das Problem, gegen das sie letztlich nicht ankommen werden?

Weichert: Nein. Grundrechte gelten universell und können nicht qua Mehrheitsabstimmung außer Kraft gesetzt werden. Das Nutzen eines Facebook-Accounts ist noch lange keine demokratische Meinungsabgabe zum Datenschutz bei diesem Unternehmen. Zwanzig Millionen Account-Inhaber sind nicht die Mehrheit in Deutschland. Umfragen zeigen, daß Datenschutz im Internet ein zentrales Anliegen einer großen Mehrheit der Nutzenden ist und daß diese hier große Defizite sieht. Und die Nutzung von Social Communities kann noch längst nicht demokratische Prozesse ersetzen.

Der österreichische Facebook-Kritiker Max Schrems sagt, Facebook sei „fleißiger als die Stasi“. Das schreckt aber offenbar die Bürger kaum ab!

Weichert: Herr Schrems weiß vielleicht nicht, was die Stasi alles gesammelt hat. Er hat aber im Grunde recht. Es gibt jedoch keinen Grund, in Schreckstarre zu verfallen: Anders als die Stasi hat Facebook keine Sanktionsmöglichkeiten, keine Gefängnisse. Wir arbeiten daran, daß ähnlich wie nach 1989 die Stasi auch Facebook transparent und beim Datensammeln in rechtsstaatliche Grenzen gewiesen wird.

Erinnern Sie sich an die Big-Brother-Debatte vor zehn Jahren? Zunächst waren alle entsetzt ob des neuen TV-Formats. Dann erkannten Medien und Politik, wie beliebt die Sendung beim Publikum war, und bald verschwand die aktive Kritik. Fürchten Sie nicht, daß mit zunehmender Informationstechnik immer mehr Datenschutzeinschnitte akzeptiert werden, einfach weil Politik und Journalisten bei den Verbrauchern nicht als Spaß- und Modernisierungsbremsen dastehen wollen?

Weichert: Ich war zwar auch entsetzt über die Big-Brother-Container, ich habe diese aber nie als rechtswidrig angesehen, weil deren Insassen ihr seltsames eigenes Verständnis von informationeller Selbstbestimmung auslebten. Die informationelle Ausbeutung hinter dem Rücken der Internetnutzer hat eine völlig andere, problematischere Dimension. Ich habe nichts gegen Spaß und Modernisierung. Ich will nur, daß dabei unsere Grundrechte nicht auf der Strecke bleiben. Das geht.

Es könnte eine neue digitale Generation entstehen, die einfach andere Rechtsvorstellungen hat. So wie die Piratenpartei das Prinzip des geistigen Eigentums in Frage stellt, weil das in der Netzwelt zum „Anachronismus“ geworden sei, könnte eine künftige digitale Generation Datenschutz als Hindernis empfinden, weil es die Nutzung der dann aus heutiger Sicht unendlichen Möglichkeiten des Internets behindert.

Weichert: Nein. Datenschutz hat noch nie etwas Sinnvolles verhindert. Er macht wohl bestimmte Vorkehrungen nötig. Das Bedürfnis nach Privatheit wird in der digitalen Welt eher zunehmen, insofern auch das Bedürfnis nach diesen Vorkehrungen. Die unendlichen Möglichkeiten des Internets lassen sich auch nutzen, wenn die Betroffenen hinreichend informiert werden und wenn ihnen Wahlmöglichkeiten eingeräumt werden. Unter Beachtung dieser Vorgaben entstehen voraussichtlich auch noch unendliche Möglichkeiten für unsere Freiheiten und für unsere Demokratie.

 

Dr. Thilo Weichert ist der Beauftragte für den Datenschutz des Landes Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) in Kiel (Logo rechts). Von 1990 bis 2004 amtierte er als Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD). 2003 und 2008 war er zudem für das Amt des Bundesbeauftragten für den Datenschutz im Gespräch. Geboren 1955 im schwäbischen Marbach am Neckar, saß der studierte Politologe und Jurist, später auch als Rechtsanwalt tätig, zunächst von 1984 bis 1986 als Abgeordneter für die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg. 1991 wurde er juristischer Berater der Bürgerkomitees zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR, 1992 Referent beim Landesdatenschutzbeauftragten in Niedersachsen. 1998 wechselte er nach Kiel, wo er auf Vorschlag von SPD und Grünen seit 2004 oberster Landesdatenschützer ist. www.datenschutzzentrum.de

 

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