© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Werft eure Fernseher aus dem Fenster
Die Medienpädagogin Paula Bleckmann über die elterliche Steuerung des kindlichen Bildschirm-Konsums in der Welt von Facebook, Kika und World of Warcraft
Ellen Kositza

Medienkompetenz ist ein Schlagwort, das sich seit Jahren breitmacht. Welche Suchmaschine sollen die „Kids“ nutzen? Wie kann ich Seiten sperren? Wie viele Stunden Surferei und Filmguckerei, unter welcher Aufsicht, mit wie gearteter Nachbesprechung?

Paula Bleckmann, 39jährige Medienpädagogin und Mutter dreier Kinder, zäumt das Pferd unkonventionell anders auf. Treffend spricht sie nicht von „Kompetenz“, was assoziativ die Herstellung von effektiv funktionierendem Humankapital nahelegte, sondern nimmt das altmodischere Wort von der „Mündigkeit“ als Richtschnur. Der aufgeklappte Rechner auf dem Buchtitel täuscht: Hier geht es nicht um jugendfreies Surfen, sondern weitgehend um die viel wichtigere Vorfeldarbeit, die familiäre Mediensozialisation.

Daß bildschirmfrei aufwachsende Kinder entgegen vielen Befürchtungen in keinerlei Hinsicht, weder sozial noch pädagogisch, Nachteile zu befürchten haben, macht Frau Bleckmann eindringlich und nachvollziehbar deutlich. Mit Hilfe zahlreicher Studien und eigener Argumentation erklärt sie, daß es keinesfalls der Suchtprävention diene, möglichst frühzeitig den Umgang mit elektronischen Medien einzuüben. Wer behaupte, Internet, Computerspiele und Fernsehen seien heute „ganz automatisch“ Bestandteil der Kindheit, unterschätze den Handlungsspielraum von Eltern.

Die schlagzeilenträchtigen Folgen von überhöhtem PC- und TV-Konsum, also Fettleibigkeit, motorische Mängel, Gewaltbereitschaft und schulische Schwächen kennt sie; Bildschirmhockerei packt die Kinder an ihren jeweiligen Schwachstellen. Die schlimmsten Folgen der magnetischen Mattscheibe aber seien: Erosion des phantasievollen kindlichen Spiels sowie der schleichende Wandel im Selbst- und Weltbild. Wie wahr! Wie Eltern dem von Grund auf entgehen können, dafür hält die Autorin im letzten ihrer drei Großkapitel lebensnahe Tips bereit.

Dennoch gibt es ein paar Probleme, erstens mit der Sachlage als solcher, zweitens mit speziell diesem Buch: Wann werden sich Eltern normalerweise um die „Medienmündigkeit“ ihres Sprosses kümmern? Wenn es weitgehend bildschirmfrei und in einem probaten Umfeld bis zum mittleren Grundschulalter aufgewachsen ist – womöglich gar nicht. Bei anderen tritt die Problematik zu Beginn der Pubertät auf, wenn plötzlich die sogenannten sozialen Netzwerke alias Schüler-VZ oder Facebook relevant werden oder wenn des Sohnes Kampfkraft stundenlang bei den virtuellen Schlachten in World of Warcraft benötigt wird. Dann freilich, wenn also die Grundlagen der familiären „Medienerziehung“ innerhalb der ersten sieben, acht Lebensjahre nicht gescheit gelegt wurden, geht es nur mehr um Symptombehandlung.

Bleckmann schlägt in solchen Fällen vor, einmal den Film Avatar in „anderer Lesart anzuschauen: Jack Sully als Computerspielabhängiger“; zudem könnte die Englischlehrerin das Red-Hot-Chili-Peppers-Lied „Throw your television away“ anhören und übersetzen lassen. Ja, klasse Ideen. Die Autorin dürfte ahnen, wie fruchtbar der Boden ist, auf den solche Maßnahmen fallen. Nicht umsonst beschäftigt sie sich mehr mit der Grundsteinlegung in den früheren Jahren. Dort hält sie in der Tat hervorragende Ideen parat, wie man Kinder weitgehend bildschirmfrei durch den Alltag der ersten Jahre bringt.

Eine dichte Broschüre, voll mit solchen Handreichungen, das wär’s! Verpackt in ein umfängliches Buch, macht sie es sowohl tendenziell haltsuchenden Erziehungsanfängern als auch fortgeschrittenen Lesern schwer. Beide müssen sich durch ein Dickicht an Nebenschauplätzen (etwa in Form einer Anleitung zum Bau einer Phrasendreschmaschine) und Kumpeleien („Fällt Ihnen was auf?“) mühen, die der einen Gruppe womöglich zu komplex, für die andere aber überflüssig („Medienreife-Tests“ zum Ankreuzen) erscheint. So gleicht das Buch einem Gespräch mit einer netten, klugen Freundin, die ihren Eigenwort-anteil gelegentlich überbeansprucht.

Paula Bleckmann: Medienmündig. Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen. Klett-Cotta Stuttgart 2012, broschiert, 250 Seiten, 17,95 Euro

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