© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Von Filbinger zu Klinsmann
Die Lebenserinnerungen des Politikers und langjährigen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder eignen sich auch als eine interessante Milieustudie des CDU-Konservatismus von einst
Jacob Apfelböck

Die Zahl der Politiker, die seit der Gründung der Bundesrepublik in Landesregierungen als Minister dienten, dürfte mittlerweile im deutlich vierstelligen Bereich liegen. Im öffentlichen Gedächtnis ist kaum einer von ihnen haften geblieben. Außerhalb der Landesgrenzen mußte sie bereits in ihrer Amtszeit so gut wie niemand zur Kenntnis nehmen. In der Regel rückten sie aus dem Nichts ins Kabinett auf und verschwanden nach ihrem Abtritt von der Bühne wieder aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung.

Bedeutsame Weichenstellungen in der Landespolitik, deren es ja durchaus immer wieder welche gegeben hat, verknüpfen sich allenfalls mit den Namen herausragender Ministerpräsidenten, während ihre Erfüllungsgehilfen, die nicht selten die eigentlichen Impulse setzten, im Schatten blieben. Zur politischen Meinungsbildung und Polarisierung der Bevölkerung laden fast ausschließlich die die Bundesebene bewegenden Themen ein. Allen Beschwörungen des angeblich bodenständigen und vitalen Föderalismus und seines vorgeblich für Bürgernähe sorgenden Subsidiaritätsprinzips zum Trotz langweilt die Landespolitik die Menschen ob ihres nüchternen Ringens um größtmögliche Effizienz im Verwaltungsalltag. Gleichwohl hat Gerhard Mayer-Vorfelder, dessen politische Ambitionen erklärtermaßen nie über Baden-Württemberg hinausreichten, sein Leben im autobiographischen Rückblick nun zu einem „stürmischen“ erklärt. Worauf er diese Einschätzung stützt, erhellt sich durch die Lektüre nicht unbedingt. Gewiß, „MV“ hat diesen und jenen interessanten Zeitgenossen kennengelernt, war hier und dort dabei, stand mitunter in den Schlagzeilen und durfte sogar manch kleines Rädchen mitdrehen. Gleiches könnten jedoch Heerscharen von Führungskräften in Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur von sich behaupten, ohne daß sie auf die Idee kämen, dies alles gleich niederzuschreiben.

Da die Zahl der Bücher, die ein Mensch in seinem kurzen Leben zu lesen vermag, erschreckend gering ist, muß somit die Frage aufgeworfen werden, warum ausgerechnet jenes von Gerhard Mayer-Vorfelder zu diesen gehören sollte. Dafür könnte sprechen, daß er immerhin 18 Jahre lang der baden-württembergischen Landesregierung unter drei höchst unterschiedlichen Ministerpräsidenten angehörte, die in ihrer Abfolge – Hans Filbinger, Lothar Späth und Erwin Teufel – den Abstieg der CDU im Musterländle versinnbildlichen. Die Interna, die er aus seiner Zeit als Kultus- und Finanzminister ausbreitet, etwa zu Seilschaften und aus großer Nähe erlebten Persönlichkeiten, aber auch über sein Ringen gegen Mengenlehre, linke Lehrer und ihre Gewerkschaft GEW sowie für die dritte Strophe des Deutschlandliedes und solide Landesfinanzen, sind jedoch eher von regionalgeschichtlicher Relevanz.

Eine Beschäftigung mit Gerhard Mayer-Vorfelder könnte ferner vielleicht lohnenswert sein, weil er nicht bloß Landespolitiker, sondern auch Fußballfunktionär war – und seine bundesweite Bekanntheit vor allem hierin gründete. Wo am VfB Stuttgart überhaupt Interesse genommen wird, richtet sich der Blick aber doch eher auf große Spieler und Spiele und weniger auf die Management-aktivitäten im Hintergrund. Als DFB-Präsident hat er sich zwar in der heute Früchte tragenden Neuaufstellung der Nachwuchsarbeit Meriten erworben. Alles wesentliche dazu ist aber in wenigen Sätzen gesagt.

Die Bedeutung dieser res gestae des Gerhard Mayer-Vorfelder wird vor allem daraus gespeist, daß hier Einblicke in das Milieu der CDU längst vergangener Tage geboten werden. Aus heutiger Sicht kurios anmutend, hat es offenbar tatsächlich eine Zeit gegeben, in der als „konservativ“ geltende Politiker in der Union respektiert und für regierungsfähig erachtet wurden. Mayer-Vorfelder galt als einer ihrer Exponenten, sein fassungsloses Kopfschütteln über die Merkel-Partei von heute ist im Buch mehrfach zu vernehmen. Dieser Konservatismus war authentisch, da er nicht um Intellektualität rang und sich in populären Vorurteilen und Bauernregeln sowie einem Bekenntnis zu den Werten der Verfassung erschöpfte.

Er war aber auch zeitgebunden, und sein Niedergang in der CDU markiert weniger einen ideologischen Schwenk, sondern vielmehr einen Stilwandel. Über einen Mayer-Vorfelder ist ästhetisch die Zeit hinweggegangen. Ansonsten war auch er bereits für manche theoretische und praktische Beliebigkeit zu haben. Es wundert daher nicht, daß seine Darstellung um die rechte Partei der Republikaner, die er in den letzten Jahren seiner Amtszeit im Landtag als Oppositionspartei erlebte und die seinerzeit im konservativen Milieu Furore machte, einen weiten Bogen macht.

Rainer Laubig (Hrsg.): Gerhard Mayer-Vorfelder – Ein stürmisches Leben. Erinnerungen. Hohenheim Verlag, Stuttgart 2012, gebunden, 206 Seiten, gebunden, Abbildungen, 19,90 Euro

Foto: Vereidigung von Gerhard Mayer-Vorfelder als Minister vor dem Stuttgarter Landtag 1980; mit Nachfolger Theo Zwanziger auf dem DFB-Bundestag 2006: Fassungsloses Kopfschütteln über die Merkel-Partei von heute

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