© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Ein selbstverliebter Ich-Verneiner
Das Leben des Glasperlenspielers: Heimo Schwilk legt zum 50. Todestag Hermann Hesses eine imposante Biographie des Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers vor
Baal Müller

Als Romanautor müsse man seine Figuren lieben – so der Dichter Rolf Schilling – und nicht sich selbst, weshalb Narziß keine Romane schreiben solle. Ausnahmen bestätigen die Regel, und eine der gewichtigsten war Hermann Hesse: ein Meister der Selbstbespiegelung und der zweite Jahrhundertschriftsteller, dem Heimo Schwilk – nach seiner großen Ernst-Jünger-Biographie 2010 – nun eine umfassende Darstellung gewidmet hat.

Fünfzig Jahre nach dem Tod des Nobelpreisträgers am 9. August 1962 hat sich sein Ruhm nicht verflüchtigt, aber doch sedimentiert; seinen Bewunderern gilt er noch immer als Dichter ewig-jugendlichen Rebellentums, Vermittler östlicher Weisheit und Lehrer einer heiteren Gelassenheit, während Kritiker monieren, er sei nie über sein Schul-trauma hinausgelangt, habe politisch nicht eindeutig Stellung bezogen und bediene populäre Harmoniebedürfnisse mit esoterischen Gemeinplätzen.

Man glaubt ihn zu kennen und hat bei der Lektüre von Schwilks Werk Gelegenheit, sein Urteil zu revidieren: Der Revoluzzer erscheint von starker Bindungssehnsucht erfüllt, der Pazifist verfaßte auch Kriegsgedichte, und der „Weise von Montagnola“ zeigt sich als larmoyanter Dauerpatient, der sich mit Schreiben zu therapieren sucht. Hesses Lebensthema ist das Spannungsverhältnis von „Dichten und Dienen“, die Selbstverwirklichung in der Gemeinschaft.

Freilich war es ein steiniger Lebensweg vom Maulbronner Klosterschüler zum Glasperlenspieler, der in seinem Alterswerk aus einer späteren Epoche auf das „feuilletonistische“ Jahrhundert zurückblickt. Der Grunderfahrung des am 2. Juli 1877 in Calw geborenen Missionarssohnes entsprechend, läßt Schwilk ihn zu Beginn als jugendlichen Ausreißer auftreten; der Vergleich mit Jünger liegt nahe, jedoch brachte es dieser geographisch weiter und konnte als afrikanische Spiele empfinden, was bei Hesse schwäbischer Ernst war. Scheint Jünger seine pubertären Ausbrüche selbstsicher zu kultivieren, so ist Hesse hin und her gerissen: zwischen dem Willen, ein dankbarer Sohn zu sein, der den Geist seines Elternhauses verinnerlicht, und dem Drang, der Enge eines Umfeldes zu entfliehen, in dem die Lektüre romantischer Dichter als nutzlos und das Schreiben eigener Lyrik, sofern sie nicht in jedem Vers das religiöse Bekenntnis zur Schau stellt, als sündhaft gilt. Während heute konservative Söhne ihre linken Väter zu Familiensinn und Nationalbewußtsein mahnen, erkennen wir den archetypischen Vater-Sohn-Konflikt im wilhelminischen Zeitalter noch in Rein-form; die Gegensätze erscheinen uns, denen die Welt von Hesses Vater entrückt ist, ebenso absurd wie die Strenge, mit der man damals widerspenstige Söhne zu disziplinieren suchte, zumal wenn deren Aufbegehren nur ein Schrei nach Zuwendung war.

Nachdem der hochbegabte junge Mann von der Schule genommen und sogar in ein Irrenhaus eingewiesen worden war, sodann aber eine Mechaniker- und anschließend eine Buchhändlerlehre absolvieren konnte, entspannte sich das Verhältnis zu den Eltern; ein Erbteil dieser Jahre bleibt jedoch die nach Aufmerksamkeit heischende Drohung mit Selbstmord. Der tröstliche Gedanke, sich das Leben jederzeit nehmen zu können, richtet den Depressiven auf.

Neben seinen Selbstinszenierungen flüchtet er sich in die schriftstellerische Arbeit, die erste Erfolge zeitigt. Der junge Hesse trifft nach der Jahrhundertwende mit „Peter Camenzind“ und „Unterm Rad“ die Stimmungen der Zeit: Natursehnsucht und Ausbruch aus den Konventionen. Endlich findet der Schwärmer auch Zugang zu Frauen, aber sein Schwanken zwischen Schüchternheit, aufgepeitschter Sinnlichkeit und Verehrung der „kosmischen Mutter“ wird er in keiner seiner drei Ehen völlig überwinden können. Er reist viel, überläßt seiner ersten Frau Haushalt und Kinderbetreuung und erwartet unbedingte Rücksichtnahme auf seine Befindlichkeiten. Mit seiner zweiten Frau lebt er schon gar nicht mehr zusammen, und erst der dritten gelingt es, eine halbwegs passende Lebensform mit ihm aufzubauen.

Während Hesse sein Künstler-Ego pietistisch reflektiert, beschäftigt er sich mit buddhistischer Ich-Verneinung. Einerseits sucht er Ruhe vom Leiden am Ich, andererseits erklärt er zum Lebensprinzip, daß jede künstlerische Schöpfung auf Leiden beruhe. Kompromisse werden als bürgerliche Lauheit abgelehnt, aber eine Vermittlung sucht er doch: Er findet sie im „dionysischen Buddhismus“ (Schwilk) seines Sid-dharta, der Leidenschaft und Distanz zu verbinden sucht; später, in „Demian“, wird es die „Gnosis“ sein, die einen Ort „jenseits von Gut und Böse“ verheißt, im „Steppenwolf“ ist es der Humor, der zwischen Heiligem und Vulgär-Profanem den Ausgleich herstellt, und in „Narziß und Goldmund“ zeigen sich männliches und weibliches Prinzip als dogmenfreies Ethos und unschuldige Rückbindung an die Welt der Mütter.

Auch während des Ersten Weltkriegs sucht Hesse eine vermittelnde Position einzunehmen, meldet sich freiwillig und engagiert sich für Kriegsdienstverweigerer und Gefangene. Während des Nationalsozialismus sitzt er wiederum zwischen den Stühlen: Zwar lebt er im Tessin und hat die Schweizer Staatsbürgerschaft, aber er sucht sich den Zugang zum deutschen Markt offenzuhalten und wird von manchen Emigranten gescholten – zu Unrecht, denn er hat noch immer Respekt vor einem Nationalbewußtsein, das, wie auch immer pervertiert, aus einer idealistischen Haltung folgt.

Während Thomas Mann vom Nationalkonservativen zum westlichen Demokraten mutiert, läßt sich Hesse kaum vereinnahmen. Dem Nationalsozialismus setzt er 1946 sein „Glasperlenspiel“ entgegen, in dem er das Modell eines geistigen Bundes entwirft. Das Asketische wird nicht mehr bekämpft; es beruht nun auf freier Entscheidung, nicht auf Gehorsam. Im selben Jahr erhält er den Nobelpreis für Literatur. Gerade weil in seinen Werken vieles verständlicher ausgesprochen ist als bei Musil, Kafka, Thomas Mann oder Hanns Henny Jahnn, gilt es als so repräsentativ für das Suchen und Leiden des Menschen nicht nur im zwanzigsten Jahrhundert.

Heimo Schwilk: Hermann Hesse.Das Leben des Glasperlenspielers. Piper Verlag, München 2012, gebunden, 368 Seiten, Abbildungen, 22,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen