© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Frisch gepresst

Napoleon. Nach der Niederlage der Deutschen an der Wolga erschien 1943 in Leningrad und London ein Epos von Eugen Tarlé, das den Kampf des „feudalistischen Zarenregimes“ mit der 1812 ins brennende Moskau vorgestoßenen Grande Armée Napoleons als ersten „Vaterländischen Krieg“ verherrlichte. Tarlés geschichtspolitische Absicht, Stalins Gulag-Imperium in der russischen Großmachttradition zu verwurzeln, war unverkennbar. Da der 500-Seiten-Klops 1944 in deutscher Überseztung in der Schweiz und 1951 für DDR-Bürger erschien, konnte das Werk lange das Märchen vom friedliebenden Rußland verbreiten, das 1812 wie 1941 unschuldiges Opfer von „Aggressoren“ geworden sei. Solche „eindeutigen Unwahrheiten“, so Adam Zamoyski in seinem alternativen Schlachtengemälde zum Rußlandfeldzug des Korsen, verabfolgten „schamlose“ Sowjethistoriker noch bis 1990. Der Londoner Autor beansprucht für sein Opus hingegen, den „ersten modernen Krieg“ jenseits ideologischer Aspirationen zu schildern. Das ist ihm auch gelungen, obwohl sein Ehrgeiz, dabei Tolstois „Krieg und Frieden“ nachzueifern, den Leser ermüdet und ihn zwingt, einige der quälend langen Leidensgeschichten über eine Million verhungerter oder erfrorener Soldaten zu überschlagen. (wm)

Adam Zamoyski: 1812. Napoleons Feldzug in Rußland. Verlag C. H. Beck, München 2012, gebunden, 720 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro

 

Stasi-Staat. Spinnerte Vorschläge wie jener Friedrich Schorlemmers von 1993, die Stasi-Akten „Freudenfeuern anzuvertrauen“, widersprechen jüngsten Meldungen aus dem Hause des Stasi-Unterlagen-Beauftragten Roland Jahn, wonach gerade junge Deutsche vermehrt wissen wollen, ob Angehörige in die Aktivitäten des DDR-Geheimdienstes verstrickt oder von ihnen betroffen waren. Daß neben den traumatisierten Opfern des DDR-Überwachungsstaates auch noch die „unbewältigte“ Geschichte der Hunderttausenden von Angehörigen der Stasi-Spitzel einer Aufarbeitung harrt, offenbart das überaus interessante Werk der Journalistin Ruth Hoffmann. Dabei richtet sie sowohl den Blick auf das damals beeinträchtigte Familienleben im Schatten der Stasi-Tätigkeit als auch der frustrierenden Erkenntnis, daß ein geliebtes Familienmitglied Teil des perdiden Überwachungssystems war. (bä)

Ruth Hoffmann: Stasi-Kinder. Aufwachsen im Überwachungsstaat. Propyläen Verlag, Berlin 2012, gebunden, 319 Seiten, 19,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen