© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Vom Rebell zum Klassiker
Barockmalerei mit Pathos: Guercino-Ausstellung in Rom
Sebastian Hennig

Im vergangenen Sommer gelangte in Rom die Jahrzehnte dauernde Restaurierung des Palazzo Barberini zum Abschluß. Seither werden alle Räume wieder genutzt, und neben dem bedeutenden Bestand der römischen Nationalgalerie Alter Meister werden nun auch Sonderausstellungen präsentiert. Zur Zeit sind es Bilder des Francesco Barbieri, genannt Il Guercino, das heißt „der Schieler“ versammelt. Dessen Werk wies, nach der auf die Hochrenaissance folgenden Ermattung, einen Aufbruch zu neuen Ufern, bevor es dann selbst wieder in einer gewissen Gleichförmigkeit mündete. Hinwendung zu drastischem Realismus, bewegter Helldunkelmalerei und grandiosem Pathos machen Guercino nach Caravaggio und neben Guido Reni und den Carraccis zum stilprägenden Maler des Barock.

Der 1591 im oberitalienischen Cento geborene Barbieri malte schon als Knabe, absolvierte eine kurze Ausbildung bei Benedetto Gennari und ging als junger Mann nach Bologna, dem vielleicht vitalsten Zentrum der Malerei jener Jahre. Dort bildete er sich als ein aufmerksam Umschauender weiter. Seine Verehrung für die Malerei der Carracci-Familie wurde von Ludovico Carracci aufrichtig erwidert.

Schon der junge  Mann erweist sich als gereifter Meister, der seine autodidaktischen Lektionen tief verinnerlicht hat und mit großer Sicherheit und improvisatorischem Genie vorträgt. Innerhalb der tradierten Form des Altarblattes wendet der Maler sich vorsichtig bewegteren Darstellungen zu. Während er sich, mit dem Händchen deutend, der Mutter entwindet, drückt diese dem Knaben den herzlichsten Kuß auf die Wange und umschließt ihn fester mit den gefalteten Fingern. Mit gebotener Sorgfalt verschiebt Guercino das Andachtsbild allmählich ins Dramatische. In Cento gründet er die Academia del Nudo, in der das ergreifendste Thema jeder Malerei, der menschliche Körper am unbekleideten Modell studiert, dem Lichtspiel auf der Haut nachgegangen wurde. Papst Gregor XV. aus der Bologneser Familie Ludovisi berief ihn schließlich nach Rom, wo er bis zum Tode seines Gönners und Auftraggebers zwei Jahre später tätig war. Jener Papst war der wichtigste Förderer der Jesuiten und gründete die Congregatione di Propaganda Fide, in der die Missionsbemühungen der Kirche wirkungsvoll administriert wurden.

Mit den Fresken im Casino Ludovisi auf dem Pincio hat der Maler 1621 seine frühe Vollendung erreicht. Der Wagen Auroras bricht durch die dunklen Wolken. Sphärisches und Figuratives verbinden sich zu großartiger Wirkung. Auf einer anderen Decke posaunt eine Fama. Gewiß haben ihn die Ausmalungen Raffaels im Palazzo Farnesina auf dem anderen Tiberufer beeindruckt und dessen Genius die heiter-heidnische Feierlichkeit dieser Allegorien mitbestimmt.

Später gerät er in den Bannkreis von Guido Reni, dem Fortsetzer der Schule von Bologna und Übersetzer ins klassisch Gebändigte, manchmal auch Süßliche. Nach der Rückkehr in die Provinz arbeitete Guercino weiter erfolgreich für eine römische Klientel. Seine Darstellungsweise wurde, wie die der anderen Maler der Epoche, ein gemäßigtes Pathos.

Die 36 Bilder der Ausstellung wurden aus den Sammlungen in Rom und Cento sowie aus Privatbesitz zusammengetragen. Es soll der Verlauf dieser malerischen Entwicklung anschaulich werden. Zum Bildraum durchmessenden Ausdruckstanz gerät die kleine Geste der Sieglung eines Briefes durch den Eremiten Hieronymus. Mit einem roten Tuch um die Lenden hockt der sonst nackte Alte vor dem steinernen Pult und biegt den Ellbogen weit über das weißbärtige Haupt. Dem Bild ist eine eigenhändige Replik aus römischem Privatbesitz zur Seite gestellt. Der Maler muß sich also bewußt gewesen sein, was ihm hier gelungen ist.

Starker Realismus kennzeichnet auch die Evangelisten-Darstellungen. Neben dem Maler-Patron Lukas steht sein Symbol, der Ochse als Nippes im Regal zwischen Pinseln und Zeichenfedern. In den Händen hält er eine Rötelzeichnung der Mutter mit dem Kind. Der bereitgestellte Keilrahmen auf der Staffelei ist so nachlässig bespannt, daß das Leinen zottelt zwischen den Nägeln.

Bilder, deren Vorzüge in den hochkarätigen Bilderwänden der großen Pinakotheken untergehen, kommen hier in der angemessenen Nachbarschaft besser zur Geltung. So „Kleopatra und Octavian“ aus dem Kapitolinischen Museum, welches hier von einer „Sybilla Persica“ und einer jagenden Diana flankiert ist. Gegenüber schleudert Saul seinen Speer gegen den jungen Sänger. Die Bilder wurden schönfarbiger, ausgewogener und heller als beispielweise das schrill-düstere „Et in arcadia ego“, in dem zwei Pilger auf einen bemoosten Schädel stoßen, auf dessen Schläfe eine fette Fliege sitzt, während eine Maus am Kiefer nagt, der selber keinen Biß mehr hat.

Diese Wandlung ist wohl eine folgerichtige Entwicklung, die weniger mit Zeitumständen und äußeren Anregungen zu tun hat als vielmehr dem üblichen Verlauf eines Malerlebens entspricht. Uns aber gefällt der Rebell besser als der Klassiker.

Die Guercino-Ausstellung ist bis zum 29. April in Rom in der Galleria Nazionale di Palazzo Barberini, Via delle Quattro Fontane 13, täglich außer montags von 9 bis 19 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 10 Euro. Telefon: 00 39 / 06 / 3 28 10

 www.mostraguercino.it

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