© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Der Weihnachtskalender des Teufels
Jenseits politischer Korrektheit: Der Briefwechsel zwischen Christian Kracht und David Woodard
Martin Lichtmesz

Der Schuß ging gewaltig und unerwartet nach hinten los. Spiegel-Autor Georg Diez ritt Anfang Februar dieses Jahres eine vierseitige Attacke gegen den Schriftsteller Christian Kracht, den er als „Türsteher der rechten Gedanken“ identifizierte, an dessen Beispiel man sehen könne, „wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg in den Mainstream“ hinein finde. In Krachts jüngstem Roman „Imperium“ über den skurrilen Auswanderer und Weltverbesserer August Engelhardt wollte Diez allerlei gerissen verstecktes „rechtes Gedankengut“ und eine „rassistische Weltsicht“ entdeckt haben (JF 9/12).

Eine landesübliche kulturstalinistische Skandalisierungsnummer also, wie sie auch schon Martin Walser, Martin Mosebach oder Thor Kunkel gespielt wurde. Mit dem Unterschied, daß sich diesmal schlagartig eine Phalanx aus Publizisten, Schriftstellern und Literaturkritikern erhob, um Kracht gegen die Vorwürfe in Schutz zu nehmen: So plump politisch-inquisitorisch könne man einem Künstler doch nicht kommen! Der in die Eselsecke gedrängte Diez ruderte zurück und beteuerte in einem zweiten Artikel, er hätte das alles nicht so gemeint, Kracht sei zwar irgendwie „rechts“, gehöre indessen aber doch in den „demokratischen Diskurs“ (was auch immer das sein mag). „Imperium“ kletterte inzwischen steil die Bestsellerlisten hinauf.

Mitgerissen von dem Wirbel wurde auch eine weitere Publikation, die ansonsten wohl allenfalls ein Geheimtip für Menschen mit ausgefallenen Interessen geblieben wäre: „Five Years“, der nach einem David-Bowie-Song betitelte erste Teil eines „Briefwechsels“ per E-Mail zwischen Christian Kracht und dem kalifornischen Schriftsteller und Musiker David Woodard. Dieses Buch galt Diez als das eigentliche Beweisstück der finsteren Absichten Krachts, und er hat ihn wohl mit ähnlich heißen Ohren durchforstet wie der Puritaner das Pornoheft: „Dieser E-Mail-Wechsel funktioniert wie ein Weihnachtskalender des Teufels: Hinter fast jeder Tür, die man öffnet, hinter fast jedem Namen, den die beiden nennen, tauchen satanische, antisemitische, rechtsradikale Gedanken auf.“

Nicht nur interessieren sich Woodard und Kracht enthusiastisch für zwielichtige Dinge wie das Schicksal der von Elisabeth Nietzsche und ihrem wagnerromanischen Ehemann Bernhard Förster 1886 in Paraguay gegründeten Kolonie „Nueva Germania“ – einem gescheiterten „arischen“ Utopia, das heute als armseliges Dschungeldorf immer noch deutschsprechende Nachkommen der Ur-Siedler beherbergt. Die beiden Autoren, laut FAZ kongenial „wie Gin und Tonic“, haben auch noch eine irritierende Art, sich unbekümmert über die üblichen politisch korrekten „Diskurs“-Regeln hinwegzusetzen.

Diese Art Freiheit ist für linksliberale Gedankenwächter natürlich schwer zu verkraften. Besonders schockierend war für die Spiegel-Gouvernante offenbar Woodards Bekanntschaft mit dem „Oklahoma-Bomber“ Timothy McVeigh, der aber nur eines unter vielen „Enfants terribles“ ist, die über die Seiten des „Briefwechsels“ geistern, meistens nur durch simples Name dropping und ohne weitere Erläuterung, was der Leserphantasie Tür und Tor öffnet.

Zum weiteren Schrecken von Georg Diez treten unter anderem der Rechtspopulist Pim Fortuyn, der russische „Nationalbolschewist“ Eduard Limonow, der „Holocaustleugner“ Ernst Zündel und der US-Undergroundprovokateur Boyd Rice auf. Die Liste ist allerdings keineswegs auf im weiteren Sinne „rechtes“ Personal beschränkt, sondern inkludiert auch anderweitige Exzentriker wie den Okkultisten Aleister Crowley, den Alternativ-Möbeldiscounter Rafael Horzon, den Filmemacher Kenneth Anger und den düsteren Beat-Poeten William S. Burroughs. Zu dessen Erbe gehört auch eine flackerndes Licht erzeugende, angeblich Wachträume induzierende Vorrichtung namens „Dreamachine“, deren Bau man bei Woodard für gutes Geld in Auftrag geben kann. Kurz: Hier wird ein weitläufiger subkultureller Kosmos beackert, der für Außenvorstehende wie ein Buch mit sieben Siegeln wirken muß.

In einem Begleittext schreibt der schottische Musiker Momus, die sich vor dem Leser langsam entfaltende Brieffreundschaft sei „spannend wie ein Sherlock-Holmes-Roman“, mit zwei mysteriösen, an der Provokation interessierten Protagonisten, die nicht als „Neo-Dada-Neo-Nazis“ abgestempelt werden wollen. Ob all das nun todlangweilig oder teuflisch spannend ist, entscheidet sich wohl vor allem aufgrund ähnlich gewickelter Neigungen des Lesers. Manche Seiten verbreiten eine ebenso bewußt gepflegte triviale Leere, wie es Krachts inzwischen eingestellte Zeitschrift Der Freund mitunter gerne tat, andere wieder amüsieren durch Wortwitz, Spiel und Ironie.

Alles in allem ist „Five Years“ eine lockere Lektüre für zwischendurch, deren Genuß allerdings voraussetzt, daß man des Englischen ausreichend mächtig ist: denn die Texte wurden auf Wunsch der Autoren in der Originalsprache belassen.

Christian Kracht / David Woodard: Five Years. Briefwechsel 2004–2009, Vol. 1: 2004–2007, hrsg. von Johannes Birgfeld und Claude D. Conter, Wehrhahn Verlag, Hannover 2011, broschiert, 264 Seiten, Abbildungen,
19,80 Euro

Foto: Briefeschreiber Christian Kracht: Für linsliberale Gedankenwächter schwer zu verkraften

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