© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Warten auf den Erstschlag
Israel: Das Säbelrasseln gegen den Iran stößt in der Bevölkerung auf ein geteiltes Echo
Philipp Gracht

So forsch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dieser Tage gegenüber Teheran rhetorisch auch auftritt: Die Mehrheit der Israelis folgt ihm in seiner Iran-Politik nur bedingt. Einer aktuellen Umfrage im Auftrag der linksliberalen Zeitung Haaretz zufolge lehnen 58 Prozent der Israelis einen Militärschlag gegen den Iran ab – wenn sich die USA nicht daran beteiligten. 50 Prozent der Befragten vertrauen dem Regierungschef und seinem Verteidigungsminister Ehud Barak aber, daß sie in der Iran-Frage umsichtig vorgehen.

Die Vorbehalte gegen die Iran-Politik spiegeln sich indes nicht in den Zustimmungswerten für das Regierungslager wider. Die seit 2009 amtierende zweite Regierung Netanjahu würde im Falle von Neuwahlen vielmehr fulminant bestätigt. Der von Netanjahu geführte nationalkonservative Likud käme auf bis zu 37 der 120 Sitze in der Knesset. Derzeit sind es 27. Zusammen mit den anderen rechten beziehungsweise ultra-orthodoxen Parteien erhielte er bis zu 74 Mandate im Parlament.

Angesichts dieser politischen Mehrheitsverhältnisse wäre nur der Likud zur Bildung einer Regierung fähig. Die Kadima-Partei, die der politischen Mitte zugeordnet wird, verlöre dagegen beträchtlich. Sie hat derzeit 28 Sitze im Parlament und ist damit stärkste Fraktion. Ende des Monats werden die Parteimitglieder über den Vorsitz abstimmen, für den die Amtsinhaberin und frühere Außenministerin Tzipi Livni und der ehemalige Verteidigungsminister und Generalstabschef Schaul Mofaz kandidieren wollen.

Beobachter schließen angesichts dieser günstigen Umfragen nicht aus, daß Netanjahu tatsächlich vorgezogene Neuwahlen für den Herbst anstreben könnte. Die anhaltende Diskussion über Israels Sicherheit sowohl in bezug auf den Iran als auch auf Gaza, von wo aus am vergangenen Wochenende über 100 Raketen auf den Süden des Landes niedergingen, spielt ihm jedenfalls in die Hände. Netanjahus konfrontative Politik ist also nicht an sich unpopulär, die Ablehnung ist nur eine bedingte. Die Bürger fürchten, Israel könne sich bei Luftangriffen schlicht verheben.

Diese mehrheitliche Auffassung in der Bevölkerung bekam jetzt auch Rückendeckung durch einen hochrangigen Fachmann. Ex-Mossad-Chef Meir Dagan, der den Auslandsgeheimdienst bis Anfang 2011 als Direktor führte, sprach sich vergangene Woche gegenüber dem amerikanischen Sender CBS gegen einen israelischen Alleingang aus. Wenn ein Präventivschlag wirklich unvermeidbar sei, müßten die Vereinigten Staaten die Militäraktion anführen. Dagan plädierte jedoch dafür, Alternativen zu militärischem Eingreifen ernsthaft zu erwägen.

Er schlug vor, die inneriranische Opposition zu unterstützen, um einen Regimewechsel voranzutreiben. „Es ist unsere Pflicht, jedem zu helfen, der in offene Opposition zum Regime im Iran treten möchte.“ Den in Israel verbreiteten Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit der iranischen Führung entgegnete Dagan: „Das iranische Regime ist möglicherweise nach dem, was ich westliches Denken nenne, nicht exakt rational zu nennen. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, daß sie alle Auswirkungen ihrer Entscheidungen in Betracht ziehen.“

Vor Dagan hatte Anfang des Monats schon ein ehemaliger Sicherheitsberater Netanjahus Kritik am Iran-Kurs des Regierungschefs geübt. Einem israelischen Fernsehsender sagte Uzi Arad, die Debatte werde vom israelischen Militär dominiert. Alternativen würden nicht genügend erwogen. Der Nationale Sicherheitsrat, dem Militärs und Zivilisten angehören und dem Arad bis 2011 vorstand, müsse der Ort der Diskussion sein.

In Israel gilt es auch als offenes Geheimnis, daß der greise Staatspräsident Schimon Peres mit dem aggressiven Kurs Netanjahus und Baraks nicht einverstanden ist. Vor kurzem erst mußte das Präsidialamt einen Bericht der Zeitung Haaretz dementieren, wonach Peres US-Präsident Obama beim kürzlich erfolgten Besuch in Washington seiner Unterstützung gegen eine allzu schnelle israelische Militäraktion versichern wollte. Verteidigungsminister Barak soll Gerüchten zufolge darüber empört gewesen sein. Das sei derselbe Peres, der sich 1981 bereits gegen eine Bombardierung des irakischen Atomreaktors Osirak ausgesprochen habe.

Netanjahu hat unterdessen verlauten lassen, ein Militärschlag gegen den Iran stehe trotz allen Säbelrasselns nicht unmittelbar bevor. Im israelischen Fernsehen sagte er vergangene Woche: „Es ist keine Frage von Tagen oder Wochen, aber auch nicht von Jahren.“

Foto: Benjamin Netanjahu: An der nationalkonservativen Likud-Partei kommt derzeit niemand vorbei

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen