© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Die Gender-Legende
Frauenquote: In der Debatte wird mit Verallgemeinerungen operiert, die einer differenzierten Betrachtung nicht standhalten
Michael Paulwitz

Die Zahl der Gegner einer gesetzlich vorgegebenen „Frauenquote“ für die Führungsetagen privatwirtschaftlicher Unternehmen sinkt rasant in der Politik. Selbst die Kanzlerin hat sich inzwischen die Leib-und-Magen-Forderung linker Gender-Ideologen zu eigen gemacht. Die Litaneien zum „Internationalen Frauentag“ und anderen Gelegenheiten zeigen Wirkung: Noch 2011 war nach Allensbach-Zahlen die Zustimmung der Bürger zur Frauenquote auf 22 Prozent gesunken, inzwischen soll es schon eine knappe Umfragemehrheit geben. Für einen CDU-Kurswechsel reicht das allemal.

Die „gläserne Decke“, die Frauen angeblich den Aufstieg in die männerdominierten obersten Führungsetagen verbaue, und die behauptete dramatische Einkommenslücke – der „Gender pay gap“, dem zufolge Frauen deutlich schlechter bezahlt würden als Männer in vergleichbaren Positionen, im Schnitt um ein Viertel – sind wiederkehrende Argumentationsmuster dieser vehement geführten Debatte um die vermeintlich systematische Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz, der, so die unterstellte Konsequenz, nur durch drastische dirigistische Eingriffe in die Vertragsfreiheit und freie Eigentumsverfügung privater Unternehmen beizukommen wäre.

Um solche massiven Interventionen zu rechtfertigen, wird ein ganzes Bündel von Argumenten wechselweise bemüht. Die Frauenquote in Führungsetagen soll so die ominöse „gläserne Decke“ durchbrechen, indem sie in Unternehmen ein „Umdenken“ in der Führungsauslese erzwingt. Als Begründung führt beispielsweise Arbeitsministerin von der Leyen an, zehn Jahre nach der ersten „freiwilligen Selbstverpflichtung“ der Wirtschaft seien immer noch nur 3,7 Prozent der Vorstände in Dax-Konzernen Frauen; auch noch niedrigere Anteile werden je nach Zählweise genannt. Zwar sitzt tatsächlich auf jedem siebten Vorstandssessel eine Frau; durch die Arbeitnehmervertreterinnen aus den Gewerkschaften liegt Deutschland mit einem Frauenanteil von 13 Prozent in den Konzernvorständen indes sogar im europäischen Mittelfeld. Diese werden von den Lobbyistinnen üblicherweise jedoch nicht mitgerechnet.

Zutreffend an der Beobachtung ist, daß Führungsgremien stets dazu neigen, sich mit Persönlichkeiten zu ergänzen, bei denen nicht nur die Leistung, sondern auch die „Chemie“ stimmt. Das gilt nicht nur für Dax-Vorstände: Es gibt auch Homosexuellen- oder Frauen-Seilschaften; niemand wäre allerdings auf die Idee gekommen, für Angela Merkels „Girls-Camp“ eine Männerquote zu fordern. Um die Rekrutierungsmechanismen von Unternehmensvorständen zu diskreditieren, werden sie einerseits mit polemischen Schlagworten wie „old boys’ networks“ verächtlich gemacht, andererseits versucht man den Beweis zu führen, daß „Gender diversity“ über die verstärkte Einbringung „weiblicher“ Führungsqualitäten sogar vorteilhaft für Markterschließung, Betriebsklima und damit Unternehmenserfolg sei. Die McKinsey-Studien „Women matter“ („Frauen zählen“) argumentieren mit Inspiration, partizipativer Entscheidungsfindung, besserer Motivation und Menschenführung, mit denen weibliche Manager die Unternehmen voranbrächten.

Daß bei der Interpretation dieser „weichen“ Faktoren viel Spekulation und Kaffeesatzlesen im Spiel ist, bestätigt eine im Februar veröffentlichte ernüchternde Untersuchung der Fraunhofer-Gesellschaft zu den praktischen Ergebnissen politisch und moralisch begründeter „Vielfalts“-Strategien. Die Management-Professorin Sabine Boerner von der Universität Konstanz kam zu dem Schluß, daß „Gender Diversity nicht von sich aus, gleichsam ‘automatisch’, die Leistung des Teams oder einer Organisation steigert. Optimistische Erwartungen an die ökonomische Effizienz von Gender Diversity sind daher durch die bestehende empirische Forschung in keiner Weise legitimiert.“

Oft wird der moralische Anspruch auf die Hälfte der Führungsposten für Frauen mit der vereinfachenden Prämisse begründet, daß Frauen die „Hälfte aller Talente“ stellten, weil sie die Hälfte der Bevölkerung bilden. Man muß nicht die genetischen Argumente des amerikanischen Professors Walter Block bemühen, um diese schematische Argumentation anzuzweifeln. Block weist darauf hin, daß die IQ-Standardabweichung bei Frauen deutlich geringer als bei Männern sei, mithin Frauen im Durchschnitt öfter im Mittelfeld zu finden seien, während in einer zufällig ausgewählten Gruppe von Männern häufiger die gesamte Bandbreite „vom Dorftrottel bis zum wahnsinnigen Genie“ zu finden sei.

Konkreter und aussagekräftiger ist der Blick auf die unterschiedlichen Lebensentwürfe von Männern und Frauen. Obwohl die Erwerbsquote von Frauen in den letzten drei Jahrzehnten in Westdeutschland von 50 auf 70 Prozent gestiegen und von den 76 Prozent erwerbstätiger Frauen in Mitteldeutschland nicht mehr nennenswert entfernt ist, obwohl Frauen heute 56 Prozent der Abiturienten und 51 Prozent der Hochschulabsolventen stellen, unterscheiden sich die Berufswege beträchtlich. Vollzeit-Berufstätigkeit ist nach wie vor nur das Ideal einer Minderheit der Frauen, stellt eine im Februar 2011 veröffentlichte Allensbach-Analyse fest; 18 Prozent der Frauen unter 45 Jahren wollten mit Kindern, 13 Prozent kinderlos Vollzeit arbeiten. Nur 15 Prozent sehen allerdings ihr Ideal in der reinen Hausfrauenrolle – die überwiegende Mehrheit, 59 Prozent, möchte durch Teilzeitbeschäftigung Beruf und Familie vereinbaren.

Zwar würden sehr viele Frauen gern mehr arbeiten, aber so, daß ausreichend Zeit für die Eigenbetreuung der Kinder bleibt (siehe Kasten). Berufliche Auszeiten und Kürzertreten im Interesse von Kindern und Familie entsprechen somit zwar nicht immer den selbstgewählten Zielen, sind aber keineswegs durchgängig vom „Patriarchat“ erzwungen, wie die Polemiken von Feministinnen wie der ehemaligen taz-Chefredakteurin Bascha Mika oder die ideologischen Raster der Gleichstellungspolitikerinnen nahelegen, sondern entspringen im Grundsatz der freien Entscheidung und dem eigenen Lebensentwurf. Mit anderen Worten: Mehr Teilzeitarbeitsplätze wären der wichtigste Schritt zur besseren „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“; Frauenquote und Krippenprogramme bedienen dagegen den Lebensentwurf einer Minderheit, der auf Kosten aller gefördert und nach Möglichkeit allen anderen noch aufgenötigt werden soll.

Auch die Interessen und Präferenzen für bestimmte Berufswege haben sich laut Allensbach-Analyse kaum angenähert: „Konstant interessieren sich Männer weitaus mehr als Frauen für Technik und entsprechend auch Technikberufe, für Wirtschaftsthemen und Politik, Frauen umgekehrt weitaus mehr als Männer für kulturelle Themen, Psychologie und Pädagogik und alles, was unmittelbar mit Menschen zu tun hat.“ Schon dadurch sei das Reservoir an qualifizierten Frauen für Führungspositionen je nach Branche völlig unterschiedlich. Im öffentlichen Dienst oder im Grundschullehrerberuf mit ihren familienfreundlichen Arbeitszeiten sind Frauen deutlich überrepräsentiert; hundertprozentig „männerfreie“ Lehrerkollegien, Rathäuser oder Stadtverwaltungsämter sind längst keine Seltenheit mehr. Bezahlung und Karrieremöglichkeiten sind dort sicher, aber eben auch begrenzt.

Der Befund relativiert zugleich die oftmals völlig übertriebenen Zahlen zum „Gender pay gap“, der vermeintlichen Einkommensdiskriminierung von Frauen, die durch das undifferenzierte Vergleichen unvergleichbarer Gesamteinkommen zustande kommen (siehe Kasten). Im öffentlichen Dienst, Bildungs- und Hochschulbereich ist die Gleichbezahlung transparent, in der freien Wirtschaft erscheint die Annahme einer systematischen Unterbezahlung von Frauen allein deshalb unsinnig, weil dann schon aus ökonomischen Gründen mehr weibliche Arbeitskraft nachgefragt werden und ihr Preis dadurch steigen müßte.

Frankreich hat im letzten Jahr eine Frauenquote für Unternehmensvorstände in der Privatwirtschaft eingeführt, Norwegen machte vor vier Jahren den Vorreiter: Seit Januar 2008 müssen alle Konzerne, deren Aktien an der Börse von Oslo gehandelt werden, mindestens 40 Prozent Frauen im Verwaltungsrat haben. Die von zwei amerikanischen Ökonomen im vergangenen Dezember aufgestellte erste Bilanz ist durchwachsen. Die Unternehmensstrategien hätten sich kaum verändert, aber die Personalkosten seien in die Höhe geschossen und die Gewinne eingebrochen.

Die Skepsis deutscher Unternehmenslenker gegenüber der Quote ist also nicht unbegründet: Für fragwürdigen Nutzen werden neue Ungerechtigkeiten in Kauf genommen. Männliche Bewerber auf den Vorschlagslisten hätten oft nur noch eine reine Alibi-Funktion, selbst bei besserer Qualifikation hätten sie kaum noch eine Chance, beschrieb im vergangenen Jahr Manfred Gentz, Aufsichtsratschef der Deutschen Börse, die Folgen des national und europäisch aufgebauten Drucks auf die Unternehmen. Trotz intensiver Förderprogramme habe man noch keine geeignete Bewerberin für den Deutsche-Bank-Vorstand gefunden, konstatierte deren scheidender Chef Josef Ackermann vor Jahresfrist. „Wohin soll ich all die Männer aussortieren? Alle zwangsweise in Rente schicken, damit überhaupt so viele Stellen frei werden?“ spottete Daimler-Boß Dieter Zetsche letzten Herbst über die „unrealisierbare“ Frauenquote. Das Beispiel Norwegen, wo inzwischen nur 70 Frauen rund 300 Aufsichtsratsposten halten, legt den Schluß nahe, daß die Frauenquote vor allem ein höchst effektiver Karriereturbo für eine kleine Minderheit ist. Das zeichnet sich längst auch in Deutschland ab. Telekom-Chef René Obermann etwa versuchte letztes Jahr in vorauseilender Erfüllung der Vorstandsquote mangels geeigneter Bewerberinnen aus der Wirtschaft zwei Politikerinnen in die Führung seines Unternehmens zu holen.

Man sieht daraus, wer sich von einer gesetzlichen Zwangs-Frauenquote die größten Vorteile für die eigene Karriereplanung ausrechnen darf.

 

Wo gibt’s Quoten?

Schon jetzt gibt es – zum Beispiel im öffentlichen Dienst – eine sogenannte „relative Quote“. Demnach wird bei gleicher Qualifikation eine Bewerberin gegenüber einem Bewerber bevorzugt. In neun europäischen Staaten gibt es in der Wirtschaft eine gesetzliche Frauenquote: In Finnland und Irland gilt sie nur für Staatsbetriebe, in Norwegen für Staatsbetriebe und Aktiengesellschaften (ähnlich auch in Italien). Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten müssen in Spanien und Holland die Quote erfüllen, in Frankreich und Belgien alle börsennotierten Firmen. Besonders Parteien setzen in Deutschland auf die Quote: die Grünen seit 1979 (50 Prozent der Posten für Frauen), die SPD seit 1988 (40 Prozent) , die CDU seit 1996 (50 Prozent).

 

„Gender pay gap“

Der „Gender pay gap“, also die geschlechterspezifische Einkommenslücke liegt in Deutschland bei 23 Prozent: Das heißt, daß der durchschnittliche Bruttostundenverdienst einer Frau bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit um diesen Wert niedriger als der eines Mann ist. Laut Statistischem Bundesamt ist dies jedoch vor allem strukturell bedingt: Frauen wählen andere Positionen oder Branchen, setzen häufiger aus und arbeiten öfter Teilzeit. Von diesen Faktoren bereinigt, liegt der Unterschied bei acht Prozent. Hinzu kommt, daß Männer z.B. höhere Gehälter aushandeln und häufig mehr Überstunden machen.

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