© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Politischer Aktionismus
Innere Sicherheit: Angesichts der hohen Kriminalitätsrate an der Grenze zu Polen und Tschechien agieren die Verantwortlichen zunehmend hilflos
Paul Leonhard

An der deutschen Ostgrenze rumort es weiterhin gewaltig. Anders läßt sich der Aktionismus der Politik nicht erklären. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) lädt entlang der polnischen und tschechischen Grenze Bürgermeister zu Sicherheitskonferenzen ein. In Potsdam versammeln sich hochrangige Polizei- und Justizvertreter aus Polen und Deutschland zu einer Krisensitzung. Drei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei wurden zur Unterstützung der Soko „Grenze“ an die Oder abkommandiert. In Hof trifft sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit seinem tschechischen Amtskollegen Jan Kubice. Hinter den Kulissen wird hektisch mit den Sicherheitsbehörden in den Nachbarländern verhandelt. Denn es ist das eingetreten, was die Bevölkerung erwartet hat: Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen schnellte die Kriminalitätsrate an Oder und Neiße in die Höhe.

Zwar verzeichnet die Kriminalstatistik Sachsens einen Rückgang der Autodiebstähle an der deutsch-tschechischen Grenze von 251 im Jahr 2010 auf 200 im vergangenen Jahr, dafür stieg sie im Grenzgebiet zu Polen von 295 auf 306. Wenn Brandenburg für 2011 ein Sinken der Straftaten erstmals auf weniger als 200.000 meldet, dann ist das aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei „nur die halbe Wahrheit“. Denn in den 24 Grenzgemeinden liegt die Kriminalitätsrate rund 20 Prozent höher als im Landesdurchschnitt. „Gerade in den Bereichen, die für die Bürger und mittelständischen Unternehmen unmittelbar spürbar sind, haben wir die höchste Zunahme an Straftaten und die mit Abstand niedrigste Aufklärungsquote“, sagt der Landesbezirkschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Schuster. Bei Diebstählen auf Baustellen, aus Kellern sowie Wohnräumen sei die Aufklärungsquote mit 20 Prozent so gering wie nie.

Auf einen „merklichen Anstieg von Eigentumsdelikten mit grenzüberschreitendem Hintergrund“ verweist Joachim Paulick, Oberbürgermeister der Neißestadt Görlitz, in einem Protestschreiben an den Bundesinnenminister: „Nach jeder überregionalen Berichterstattung über gestohlene Autos merken das unsere Hoteliers am nächsten Tag durch vorsichtigeres Buchungsverhalten der Touristen.“ Um den Kriminalitätsanstieg im Grenzgebiet geht es auch in einer Petition, in der Unternehmer aus der Uckermark die Landespolitik um Hilfe bitten.

Den Ruf nach mehr Bundespolizei an der Grenze unterstützt der Vize-Chef der GdP Bundespolizei in Berlin-Brandenburg, Lars Wendland: „Es ist geradezu beschämend, wie an der brandenburgisch-polnischen Grenze seit geraumer Zeit mit den Umständen der Steigerung der Grenzkriminalität umgegangen wird.“

Ständige Umstruktierungen, permanenter Stellenabbau und finanzielle Kürzungen bei der Polizei sind Ursachen für den Kriminalitätsanstieg. Für den Bundesinnenminister ist die Bekämpfung der Grenzkriminalität Sache der Länder. Im Ergebnis der Polizeireform vor vier Jahren wurden 750 Bundespolizisten aus Sachsen abgezogen, knapp die Hälfte aus dem Grenzgebiet. Weitere 450 sollen noch versetzt werden. Von „Sparmaßnahmen an der falschen Stelle“ spricht der SPD-Bundestagsabgeordnete und frühere Polizeipräsident der Direktion Oberlausitz-Niederschlesien Wolfgang Gunkel. Sachsens Innenminister reicht den Schwarzen Peter indes weiter an die Landkreise. Dort möchte man das Thema auf die Gemeinden abwälzen. Diese sollten Sicherheitskonzepte erarbeiten, fordert der Görlitzer Landrat Bernd Lange (CDU) und stößt auf Unverständnis. Es könne nicht sein, daß kostenintensive Aufgaben auf die unterste Ebene delegiert werden, sagt die Bürgermeisterin von Seifhennersdorf, Karin Berndt.

Der Rektor der Polizeifachhochschule in Rothenburg, Ralph Berthel, weiß Rat: „Die Bürger dürfen sich nicht mehr als passive Opfer sehen, sondern müssen selbst handeln.“ Schon geistert wie Anfang der neunziger Jahre der Ruf nach Selbsthilfe durch das Grenzgebiet. „Bürgerwehren oder ähnliches sind keine Lösung“, warnt Großschönaus Bürgermeister Frank Peuker. Die Bürger hätten ein Recht auf Gewährung von Schutz und Sicherheit durch den Staat.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen