© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Fensterfront in die Geschichte
Vertriebenenzentrum: Bundesstiftung präsentiert Konzept für das Berliner Deutschlandhaus
Ekkehard Schultz

Die alte Substanz erhalten und pflegen, sie jedoch zugleich mit Neuem zu einer höheren Einheit verbinden: So läßt sich die Formel der architektonischen Konzeption für das künftige Berliner Ausstellungs- und Dokumentationszentrum der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung zusammenfassen, mit dem an das Schicksal der deutschen Vertriebenen erinnert werden soll. In der vergangenen Woche wurde der Siegerentwurf im Deutschlandhaus der Öffentlichkeit vorgestellt.

Aus dem internationalen Wettbewerb war das Vorarlberger Architektenbüro Marte.Marte als Sieger hervorgegangen. Das Brüderpaar arbeitet mit zeitgenössischen Grundstoffen wie Beton bei der Außenverkleidung, während es in den Innenräumen warme Farbtöne und klassische Materialien wie Holz bevorzugt. Stets soll dabei das Gesamtgebäude im Einklang mit dem Umfeld stehen und keinen Fremdkörper in der Landschaft darstellen und damit die örtlichen Traditionen bewahren.

Grundsätzlich sollen nach der Vorstellung der Österreicher zwei von insgesamt vier Gebäudeteilen des Deutschlandhauses in der Nähe des Potsdamer Platzes originalgetreu saniert werden. Die denkmalgeschützten Fassaden an der Stresemannstraße sowie der Anhalter Straße bleiben in der bisherigen Form erhalten. Dies trifft auch auf das Innere zu, die dortigen Flächen sollen in erster Linie als Büroräume genutzt werden. Geplant ist bislang, diese Räume nicht nur für die Vertriebenenstiftung selbst, sondern auch an verwandte Institutionen und Vereine zu vermieten. Zudem soll dort unter anderem die Mediathek untergebracht werden.

Dagegen werden die beiden rückwärtigen Trakte des Deutschlandhauses komplett entfernt. Ursprünglich befand sich hier ein großer Kinosaal, der jedoch im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Nun soll mit einem kubenförmigen Anbau an diese Tradition angeknüpft werden. Dort wird der Platz für die Ausstellungsflächen geschaffen. Während das erste und zweite Stockwerk für die künftige Dauerausstellung genutzt werden soll, befinden sich im Erdgeschoß die Flächen für Wechselpräsentationen. Grundsätzlich sollen die meisten Räume „offen und flexibel bespielbar“ sein. Dies ermöglicht den Einbau von Trennwänden ebenso wie eine eventuelle Ausweitung der gesamten museal genutzten Fläche. Im Gegensatz zu der geringeren Deckenhöhe in den älteren Trakten soll die Höhe hier fünf Meter betragen. Auf diese Weise können auch größere Objekte präsentiert werden.

Eine Vorgabe des Stiftungsrates selbst war es, daß das umgestaltete Haus einen räumlichen Bezug zur nahe gelegenen „Topographie des Terrors“ aufweisen müsse. Deswegen ist in dem Entwurf eine große Fensterfront vorgesehen, die sowohl einen direkten Blick zum ehemaligen Prinz-Albrecht-Gelände als auch in Richtung des ehemaligen Luftwaffenministeriums (heute Bundesfinanzministerium) ermöglicht. Damit soll dem Auftrag, Flucht und Vertreibung auch in einen Kontext zum Nationalsozialismus zu stellen, Rechnung getragen werden.   

Während sich Stiftungsdirektor Manfred Kittel mit dem Siegerentwurf sehr zufrieden zeigte, äußerten sich mehrere Vertriebene im Publikum deutlich kritischer. Zum einen wurde von ihnen moniert, daß der Zeitplan zu großzügig gestaltet sei und viele Betroffene die Eröffnung des Ausstellungszentrums nicht mehr erleben würden. Zudem sei die dauerhafte Vermittlung dieses wichtigen Kapitels der deutschen und internationalen Geschichte anhand von historischen Darstellungen und Erinnerungsstücken der Vertriebenen zwar sehr wichtig, aber dennoch unzureichend. Denn ohne Zeitzeugen sei dies alles weitestgehend nur „ein toter Stoff“.

Aus diesem Grund wurde von der Stiftung gefordert, die verbliebenen Zeitzeugen regelmäßig zu Wort kommen zu lassen. Darüber hinaus sollten im Deutschlandhaus wieder Treffen der Heimatvertriebenen stattfinden. Kittel konnte in diesem Zusammenhang allerdings lediglich darauf verweisen, daß „selbstverständlich der zentrale Veranstaltungsraum“ im Hause für solche Zwecke „nach einer entsprechenden Voranmeldung“ vermietet werden könne.

 

Ausstellungsstücke gesucht

Die Ende 2008 gegründete Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sucht für ihre künftige Dauerausstellung im Berliner Deutschlandhaus noch Objekte, die an den erzwungenen Heimatverlust erinnern. Gegenstand des Sammlungsaufrufs sind die Flucht und Vertreibung der Deutschen sowie die gesamte Geschichte der Zwangsmigration in Europa im 20. Jahrhundert wie etwa der griechisch-türkische „Bevölkerungstausch“, sowie die stalinistischen Deportationen und Vertreibungen. Wer dem Vertriebenenzentrum Gegenstände, Dokumente, Fotografien oder persönliche Erinnerungsstücke dauerhaft zur Verfügung stellen möchte, kann sich mit der Stiftung in Verbindung setzen.

Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Mauerstraße 83/84, 10117 Berlin, Telefon: 030/206299812, sammlung@sfvv.de www.sfvv.de

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