© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Mit Syrien und Simbabwe auf einer Stufe
Integration: Ein Bericht der Vereinten Nationen kritisiert die Zahl der inhaftierten Ausländer in Deutschland als unverhältnismäßig hoch
Henning Hoffgaard

El Hadji Malick Sow, Shaheen Sardar Ali und Mads Andenas sind wirklich vielbeschäftigte Menschen. Als Inspektoren im Auftrag des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen bereisen sie seit 1997 eine Vielzahl von Ländern und halten nach Menschenrechtsverletzungen in Gerichtssälen, Asylanstalten und Gefängnissen Ausschau. Zwischen ihren Besuchen in Syrien, Malaysia, Guatemala, China, Venezuela, Simbabwe und El Salvador stand auch Deutschland ganz oben auf der Prioritätsliste der Vereinten Nationen. Hier wolle man die „institutionellen und rechtlichen Rahmen der Freiheitsentziehung“ beurteilen, wie es in einer vorab verbreiteten Ankündigung hieß. Zwischen dem 26. September und dem 5. Oktober 2011 standen zahlreiche Gespräche mit Richtern, Pressesprechern und Staatsräten auf dem dicht gedrängten Programm der „Mission“. Zusätzlich wurden Verhandlungen besucht, Einrichtungen für abgelehnte Asylbewerber inspiziert und das Gespräch mit einigen wenigen Häftlingen gesucht. In ihrem in der vergangenen Woche vorgestellten Bericht zeigten sich die Inspektoren vor allem über eines tief besorgt: die „unverhältnismäßig hohe Zahl von Ausländern in Haft“.

In Berliner Gefängnissen liege dieser Anteil bei 45 Prozent und verteile sich auf 55 Nationalitäten. In Stuttgart seien immerhin 30 Prozent der inhaftierten Personen nicht im Besitz einer deutschen Staatsbürgerschaft. Bei Jugendlichen steige deren Anteil auf fast 60 Prozent. An einem Tag seien gar alle Zellen im Gerichtsgebäude von Ausländern belegt gewesen. Die Zahlen berücksichtigen dabei noch nicht einmal die Einwanderer, die bereits eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Ähnliche Zustände fand die Untersuchungsgruppe auch in Hamburg vor. Hier waren 249 von 404 Untersuchungsgefangenen Ausländer. Zumindest für letzteres gebe es allerdings einen nachvollziehbaren Grund, schreiben die Ermittler. So würden deutsche Gerichte bei „fehlenden lokalen Bindungen“ sehr schnell eine „Untersuchungshaft“ anordnen. Positiv sei hingegen jedoch, daß die Justiz bei einem Wohnsitz im Ausland nicht automatisch eine „höhere Fluchtgefahr“ erkenne.

Dennoch werfe der hohe Ausländeranteil in Gefängnissen fragen auf, heißt es im Abschlußbericht der Arbeitsgruppe. So müßten die Haftgründe nun genau analysiert werden. Ursache könnte etwa die schlechte wirtschaftliche Lage der Einwanderer oder die mangelnde soziale und sprachliche Unterstützung für Ausländer sein.

Für allerlei Kritik sorgte auch die deutsche Abschiebepraxis. So werde die Abschiebehaft in Deutschland viel zu oft und viel zu lange angeordnet. Bis zu 18 Monate dürfen Kriminelle und abgelehnte Asylbewerber in der Abschiebehaft verbleiben. Daß davon auch Minderjährige betroffen sind, sei mit Blick auf die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen nicht verhältnismäßig.

Konkret forderte die Inspektorengruppe von der Bundesregierung, künftig alle Maßnahmen zu ergreifen, damit Gefängnisstrafen immer nur das letzte Sanktionsmittel blieben. Für Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis sollten Alternativen zur Inhaftierung gefunden werden. Auch die Abschiebepraxis müsse gründlich überprüft werden, um so zu verhindern, daß den Abgeschobenen in ihren Heimatländern Verfolgung und Diskriminierung drohe. Besonders die Konvention der Vereinten Nationen  über die Rechte des Kindes müsse Vorrang gegenüber dem bisherigen Asylrecht haben.

Auch in Sachen Integrationspolitik könne noch einiges erreicht werden, schreibt die Delegation. So müsse die „soziale Mobilität“ von Zuwanderern erhöht werden, indem diese besser integriert und für ihre Rechte und Pflichten im Justizsystem sensibilisiert werden. Im Vergleich zu ihren Berichten über Syrien, den Jemen und andere autoritär beherrschte Staaten zeigten sich die Ermittler dennoch zufrieden mit der Bundesrepublik. So gebe es einen unabhängigen Rechtsstaat, ein funktionierendes Gerichtssystem, und in Hamburg seien bereits 10 bis 15 Prozent der Polizisten nichtdeutscher Herkunft.

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