© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Der Flaneur
Im Spaßbad
Ellen Kositza

Schön sieht sie aus, in ihrem Wollrock und dem dicken Mantel. Das Kopftuch hat sie vorne geknotet, es umrahmt winterrote Apfelwangen. Wir fahren mit gleichem Ziel im Bus. Oh ja, sie hat noch eisigere Winter erlebt! Sie ist spät ausgesiedelt aus der alten Heimat im Osten, dort mußte sie winters das Eis in den Trögen aufhacken für das Vieh im Stall, und im Haus war nur ein einziger Raum beheizt. Was hat man da gefroren! „Das Schöne im Winter“, sie spricht es „Sche-ine“ aus, „war, daß wir die Milch von unsern Ziegen trinken durften, sonst war die für die Schweine zugedacht. Aber die Schweine waren im Februar tot“, „tout“ in ihrem Idiom.

Nun geht sie schwimmen wie ich. „Was tun für die Gesundheit“, sagt sie mit anheimelndem Akzent. Drinnen herrschen tropische Temperaturen. Nur Alte und wenige Vorschulkinder mit ihren Müttern bevölkern das sogenannte Spaßbad an jenem Vormittag.

Ein Grüppchen übt sich mit verbissenen Gesichtern in „Aquajogging“, ein weiteres schaut vom Nichtschwimmerbecken aus auf eine Vorturnerin, die ihre Arme gen Himmel stößt und zur Musik stampft. „Uuund – links“, sie hebt den Arm über den Kopf, wippt nach: „Power, power, power!“ Dann der rechte Arm: „Uuund rechts, power!“ Fleißig turnt das gute Dutzend Senioren mit. Lady Gaga hat fertiggesungen, es folgt „Tausendmal berührt“ von Klaus Lage, ein Oldie mithin, dennoch wesentlich jüngeren Datums als die Wasserfrauen und -männer.

„Step, step, step!“ feuert die Animateurin ihre so müden wie eifrig bemühten Zöglinge an. Ist es rührend? Ist es unwürdig? Daß die Bewegungen sich nicht in den Rhythmus fügen wollen, tut der sportlichen Sache keinen Abbruch. Sachte wogen Fleisch und Wasser. Die faltigen Gesichter strahlen erschöpft. Altes Eisen, von wegen. Eine winkt. Die Kinder winken zurück. „Woher kennt ihr denn diese Frau?“ – „Mama! Mit der hast du dich doch eben im Bus unterhalten!“

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