© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Hier kann man nicht glücklich werden
DDR-Drama: Christian Petzolds Film „Barbara“ mit Nina Hoss in der Hauptrolle
Sebastian Hennig

Erich von Stroheim hat in seinen Stummfilmen penibel auf intakte Klingeln, funktionsfähige Schußwaffen und darauf geachtet, daß die Musikkapelle jeden Ton trifft. Dieser Purismus verleiht Filmen wie „Foolish Wives“ und „Greed“ jene unvergängliche Frische, gegen die manche Nouvelle-Vague-Produkte der sechziger Jahre hornalt wirken.

Auch in Christian Petzolds neuestem Werk steuern die Darsteller eigenhändig ihre Kraftfahrzeuge, bewegen sich glaubhaft in Räumen, in die sie sich eingewöhnt haben und verwenden Gegenstände, die zuvor wirklich angeeignet wurden. Es gibt keine affektverstärkenden Musikeinspielungen und künstlich übersteuertes Zeitkolorit, mit denen die Kinoroutine sonst so wirkungsvoll dramaturgische Mängel überkleistert. Denn soviel DDR-Aroma pro Quadratmeter wie in der Filmproduktion der vergangenen zwei Jahrzehnte war vor 1989 realiter kaum je zu sehen.

Da wurde, wie bei den Filmen zur NS-Thematik, die Selbstinszenierung eines Regimes zum Maßstab für die Darstellung des Lebens in dieser Zeit gemacht. Der erzählerische Spielfilm ist eben in erster Linie das geblieben, als was er geschaffen wurde: Propaganda im heißen und mentale Rechtfertigung des Zeitgeistes im kalten Krieg.

Auch der coole Krieg gegen die verwirrenden Temperaturschwankungen des wirklichen Lebens benötigt viele Millionen Filmförderung. Als Nebenprodukt oder Alibi entsteht dann gelegentlich einmal das Gegenteil. So eine erfreuliche Ausnahme ist „Barbara“. Es ist die Geschichte um eine junge Kinderärztin, die nach Ausreiseantrag und Haftzeit 1980 in ein Provinzkrankenhaus an der Ostsee strafversetzt wird und dort zwischen den Zumutungen eines dürftigen Milieus, subtiler und brutaler Überwachung, konspirativer Fluchtvorbereitung, beruflichem Verantwortungsgefühl und Gefühlsirritationen gebeutelt wird.

„Es ging uns nicht darum, das Portrait eines Unterdrückerstaates zu filmen. Und dagegen dann die Liebe zu setzen, die unschuldige, reine, befreiende. Wir wollten keine Symbole. Man decodiert sie, und nichts bleibt übrig, nur das, was man schon zuvor gewußt hat“, sagt Christian Petzold über seinen Film, der ein Literatur-Sujet der dreißiger Jahre in den Achtzigern ansiedelt. Die gleichnamige Novelle von Hermann Broch beschäftigte ihn schon über Jahre, bis ihn der Anstoß zur angemessenen filmischen Neutralisierung erreichte. Ein Arzt berichtete ihm von den Maßregeln, welche seine Kollegen zu erdulden hatten, wenn sie einen Ausreiseantrag stellten. Als die Filmheldin ihrem Chef sarkastisch die Ansprüche der regierenden Arbeiter und Bauern, die ihr das Studium ermöglichten, vorhält, antwortet der kurz: „Eigentlich nicht falsch.“ Kann es einen aufrichtigen Patriotismus für ein von Verlogenheit gelenktes Vaterland geben?

Vielleicht ist „Barbara“ der erste Film, der die grausigen Paradoxa jener Zeit und jenes Ortes rücksichtslos als Fundgrube für eine Filmerzählung nutzt. Die Eltern des 1960 in Hilden geborenen Petzold wechselten einst selbst über die widernatürliche Grenze ohne recht zufrieden damit zu werden: „Das tiefste Gefühl meiner Eltern war Heimweh.“ Sein Weg zum Autorenkino war der eines Cinephilen und begann als Zivildienstleistender im Filmklub des Christlichen Vereins Junger Männer. Sein Wissen um die großen alten Meister des Genres und deren Rezepte tragen auch diesen Film.

Im Vorfeld fanden ausgiebige Leseproben und Filmanalysen der Klassiker statt. Von den Milieu-Recherchen berichtet der Regisseur und Drehbuchautor: „Die Krankenschwestern, die uns beraten haben, hatten Tränen in den Augen, als sie sich an diese Zeit erinnerten. Man kriegt das Gefühl, dort hatte man Zeit, gesund zu werden. Bei uns ist es eher eine Fabrik.“ Auch hier wieder jene seltsamen Widersprüche, die sich nicht auflösen und die der Film auch nicht zu lösen vorgibt. „Wir wollten das filmen, was zwischen den Menschen ist, sich aufgetürmt hat, was sie mißtrauen läßt, oder vertrauen, abwehren und annehmen.“ Das geschieht gelegentlich durch eine kleine vergebliche Bewegung von Augenbraue und Lippe oder durch schiere Regungslosigkeit. Zum Beispiel bei Rainer Bock als MfS-Offizier, dessen mimische Erstarrung zuletzt ganz anders als vermutet begründet wird.

Auch die Filmheldin wird eine solche erst, als das Verhängnis sie in eine andere Richtung stößt und sie fast schlafwandlerisch die von selbstprovozierten Schikanen und Ängsten vorgegebene Bahn verläßt. Sie entscheidet sich für das, was sie selbst als Glücklosigkeit bezeichnet. Denn auf die Liebesbeteuerung von Jörg (Mark Waschke), dem Prinzen aus dem Westen: Ich komme auch zu dir. Wir können auch hier glücklich werden, erwiderte sie, ohne nachzudenken: Du spinnst. Hier kann man nicht glücklich werden.

Gedreht wurde in Brandenburg-Kirchmöser und in Ahrenshoop vom Spätsommer bis in den Herbst. Das Licht und die Geräusche dieser Jahreszeit gestalten den Film. Die Herbstfarben vermitteln Töne der Resignation und Versöhnung. Die Tauben gurren von draußen in die Dialoge hinein. Als Barbara das Fahrrad abstellt, um aus dem Versteck ein Päckchen zu holen, wird dieses vom Äquinoktalwind umgeblasen, der fast den ganzen Film durchweht.

Nina Hoss als Barbara Wolff ist eine helle, gewichts- und eigenschaftslose Frau, mit einer ähnlichen Ausstrahlung wie Monica Vitti in den Filmen Michel-angelo Antonionis. Ein blonder Kleiderständer, mit Bewegungen von großer Eleganz, aber ohne echte Eigenschaften. Ein mürrisch-gequältes Augenaufschlagen ist der wohlgesetzte Höhepunkt ihrer darstellerischen Leistung, die vor allem aus Präsenz besteht. Ein Spiegel, der das Geschehen um sich her zurückwirft.

Daß hinter dem Traum vom sauberen, klaren Leben im Westen ein elementareres Erlösungsbedürfnis verborgen ist, wird klar, als sie den Geliebten fragt, ob er sie selbst über die See holen käme. Ein Ritter aber, der bezahlte Knappen entsendet, der erhält nicht die Herzogin, sondern nur die Zofe. Das Wasser-Motorrad des Menschenhändlers startet dann mit einer verzweifelten Ausbrecherin aus dem Jugendwerkhof über die nächtlich bewegte Ostsee gen Dänemark.

Foto: Kinderärztin Barbara (Nina Hoss) mit ihrem Geliebten: Subtile und brutale Überwachung

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