© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Von Krieg zu Krieg
Ausstellung: Das Militärhistorische Museum in Dresden zeigt Fotos des US-Kriegsberichterstatters James Nachtwey
Paul Leonhard

Die Instrumente liegen verlassen auf einem von Blutlachen bedeckten Operationstisch: Scheren, Pinzetten, Spritzen, verschiedene Meßinstrumente. Ein Stilleben in schwarzweiß. Die Ärzte und Schwestern sind weg, auch der Operierte. Hat er überlebt? Ist es jener Schwerverletzte, der auf einem anderen Foto zu sehen ist, oder jener, der in einem Sack liegt? Der Reißverschluß ist zugezogen. Zwei Hände, in sterile Handschuhe gekleidet, halten behutsam die Hundemarke.

Mit „Aufopferung“ ist die Folge von 60 eindrucksvollen Fotos, angeordnet in drei Reihen, überschrieben. Der preisgekrönte US-amerikanische Kriegsfotograf James Nachtwey hat sie aufgenommen, als er 2006 zwei Monate in verschiedenen Feldlazaretten im Irak verwundete US-Soldaten während und nach der Behandlung fotografierte. Die hektische Geschäftigkeit in Feldlazaretten, dem Fernsehzuschauer aus diversen Kriegsfilmen bekannt, hat Nachtwey aus dem gewohnten Zeitraffer in Einzelbildern festgefroren, von denen jedes einzelne den Betrachter erschüttert.

In Dresden ist der rund elf Meter breite Wandfries „The Sacrifice“ nach Ausstellungen in den USA und in Frankreich zum ersten Mal in Deutschland zu betrachten. „Krieg. Fotografien von James Nachtwey“ nennt sich die Sonderschau im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr. Zu sehen sind rund 70 großformatige Fotos des 1948 in Syracuse/New York Geborenen, der zu den renommiertesten Kriegsfotografen unserer Zeit zählt. Es waren Zeitungs- und Fernsehberichte aus dem Vietnamkrieg, die Nachtwey, der zuvor Kunstgeschichte und Politikwissenschaften studiert hatte, diesen Weg einschlagen ließen. Mehr als dreißig Jahre, zwischen 1981 und 2012, war er weltweit in Todeszonen unterwegs, um die Brutalität und Barbarei bewaffneter Auseinandersetzungen mit seiner 35-Millimeter-Kamera festzuhalten.

Unter seinen Berufskollegen erwarb sich Nachtwey schnell einen Ruf, weil es sein Credo war, immer so nah wie möglich am Motiv und damit an der Gefahr zu sein. Im Balkankrieg begleitet er um sich schießende kroatische Milizionäre. Eine Weitwinkelaufnahme von 1998 zeigt, wie in den Straßen von Jakarta ein Christ von muslimischen Nachbarn mit Metallrohren, Baseballschlägern und Macheten gelyncht wird. Nachtwey ist unmittelbarer Augenzeuge. Seine Arbeit ist das Dokumentieren, nicht das Eingreifen in das Geschehen. Gefühle wie Trauer, Wut und Ohnmacht kann er sich nicht leisten. Die Karriere habe ihn vorwärts getrieben, räumt er rückblickend ein. Von Krieg zu Krieg, „ohne großartig darüber nachzudenken“.

Auch eigene Verwundungen konnten ihn nicht abhalten. Wer wirklich authentische Aufnahmen machen und den Krieg in seinem ganzen Ausmaß erfallen will, muß sich denselben Gefahren aussetzen wie die Kämpfenden. Nachtwey wurde in Zentralamerika durch eine Landmine verletzt, im Libanon durch einen Splitter, im Irak durch eine Granate.

Die Bilder dokumentieren nicht nur physische und psychische Gewaltanwendung, sondern auch Armut und Hunger als Folgen und Mittel der Gewalt. Gleich der erste Themenkomplex in Dresden erinnert an die Hungersnot 1992/93 in Somalia und im Sudan: Ein bis aufs Skelett abgemagerter Mann schleppt sich auf allen Vieren aus dem Bild. Ein anderes Foto zeigt eine halbverhungerte Frau in einer Schubkarre. Die Aufnahmen wirken bei aller Schrecken fast wie komponiert. Zweifelsohne, Nachtwey ist ein Meister seines Fachs, der die Möglichkeiten des Mediums Fotografie auszuloten, aber auch um dessen Grenzen weiß. Die stärkste Wirkung entfalten jene Fotos in der Ausstellung, die keines begleitenden Textes bedürfen.

In Bosnien-Herzegowina hat Nachtwey 1993 kroatische Milizen begleitet. Eine Aufnahme zeigt einen kroatischen Milizionär, der in Mostar aus einem Schlafzimmer auf muslimische Nachbarn schießt. Für die ästhetische Wirkung der Fotos ist es gleich, wer auf wen schießt. Auch der in Zivil gekleidete, auf einem Stuhl in einem Wohnzimmer mit Schrankwand sitzende und sorgfältig durch sein Zielfernrohr visierende Heckenschütze mit seinem Filzhut könnte in Bosnien fotografiert sein, aber es ist ein tschetschenischer Rebell.

Das Foto daneben zeigt zwei Frauen – eine schaut entsetzt auf die soeben entdeckte Leiche der Nachbarin. Auch die über ihren Sieg jubelnden indonesischen Rebellen sind Zeugnisse äußerster Gewalt. „Ich kann nichts Glorreiches an der Realität des Krieges finden. Krieg bedeutet immer Zerstörung, Gewalt und Tod“, hat Nachtwey in einem Interview gesagt. Stets seien es Zivilisten, die zwischen die Fronten geraten, die die Hauptlast des Krieges tragen müssen. Seine Fotografie habe sich „nach und nach zu einer Intervention gegen den Krieg entwickelt“. Eine gute Kriegsreportage sollte nicht nur informieren, sondern „Instinkte berühren und Politiker zum Handeln antreiben“.

Die ausgestellten Fotos umfassen die Zeitspanne von 1983 bis 2006. Sie erzählen vom Polizeieinsatz in Südafrika 1983, zeigen Hubschrauberbesatzungen, die Papst Johannes Paul II. beschützen, als dieser in Guatemala von Guerillas kontrolliertes Gebiet überfliegen muß. Nachtwey ist 1984 dabei, als die ugandische Armee in einem Dorf nach Plünderern sucht, 1994 bei Ausschreitungen in Haiti, 2003 im Irak, als Soldaten mit dem blanken Bajonett in der Hand am Ufer des Tigris nach einem abgeschossenen US-Piloten suchen. Eine der beindruckendsten Aufnahmen entstand 1984 in El Salvador: Sie zeigt drei kleine Mädchen, die sich vor dem aufgewirbelten Staub eines aufsteigenden Hubschraubers hinter einem Baum verstecken und die Augen zuhalten. „Die Armee evakuiert vom Fußballfeld eines Dorfes verwundete Soldaten“, erläutert ein Text.

„Kriegsfotografen, die sich mit ihren Bildern einer politischen Vereinnahmung verweigern und die von Konfliktparteien beanspruchte Deutungshoheit unterlaufen, erfüllen eine überlebenswichtige Aufgabe für die Selbstwahrnehmung von Gesellschaften“, heißt es in der Sonderschau. Die Dauerausstellung des Museums über deutsche Militärgeschichte zeigt dagegen unfreiwillig an vielen Beispielen, daß ästhetisch ansprechende, wirkungsvolle Fotos in ihrer Einordnung stets der jeweils geltenden Political Correctness ausgesetzt sind.

Eine der wenigen Farbaufnahmen in der Sonderschau zeigt einen Gewehrlauf, dessen Mündung fast auf dem Hinterkopf eines Mannes aufsitzt. Sonst ist wenig zu erkennen: nackte Haut, Tätowierungen, ein Stück grüner Uniformstoff. Wer ist hier der Gute, wer der Böse? Das Foto allein sagt darüber nichts aus. Herausgelöst aus dem Kontext, ohne das Wissen des Fotografen, bleibt der Betrachter mit seinen Gedanken allein. Erst der Text klärt auf: „US-Marineinfanterist nimmt in Bagdad einen Bankräuber gefangen.“

Die Ausstellung „Krieg – Fotografien von James Nachtwey“ im Militärhistorischen Museum in Dresden ist bis zum 31. Mai täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr, montags bis 21 Uhr, zu sehen. Tel.: 03 51 / 8 23 28 03

www.mhmbw.de

Foto: James Nachtwey, Rwanda, 1994: Durch Macheten verletzter Überlebender eines Todeslagers der Hutu

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