© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

In der Liquiditätsfalle
Europäische Zentralbank: Mario Draghis „Dicke Bertha“ verschießt wegen der Euro-Krise weitere 530 Milliarden
Bernd-Thomas Ramb

Insgesamt mehr als eine Billion Euro haben sich die überwiegend südländischen Banken der Euro-Zone von der Europäischen Zentralbank (EZB) als Kredit auszahlen lassen; zu einem Zinssatz von einem Prozent, mit einer Laufzeit von drei Jahren und unter Absicherung durch zweitklassige Forderungen der Banken an ihre heimischen Unternehmen. Die jüngste Befeuerung des Geldmarktes mit Massenkrediten in einer Gesamthöhe von fast 530 Milliarden Euro bezeichnete EZB-Präsident Mario Draghi als Einsatz der „Dicken Bertha“, in Anlehnung an die volkstümliche Bezeichnung der größten Artilleriekanone des Ersten Weltkriegs. Es war die zweite Maßnahme dieses Kalibers. Schon im vergangenen Dezember verschoß die EZB 489 Milliarden Euro.

Die enormen Summen relativieren sich, wenn die Rückzahlungsverpflichtungen der Banken an die EZB aus den laufenden Finanzierungsgeschäften in Abzug gebracht werden. Im Dezember waren 280 und nun im März 220 Milliarden Euro aus früheren EZB-Kreditaufnahmen zurückzuzahlen. Der Liquiditätszuwachs beträgt demnach nur 210 und 310 Milliarden Euro. Da in diesem Jahr weitere 580 Milliarden Euro an EZB-Krediten zur Rückzahlung fällig werden, deckt der Liquiditätsüberschuß so eben die kommenden Zahlungsverpflichtungen. Möglicherweise befürchten die Banken, auch künftig keine entsprechenden Refinanzierungsmöglichkeiten auf dem freien Finanzmarkt vorzufinden.

Die Vermutung der bloß verstärkten Reservebildung aus den großzügig erteilten EZB-Krediten wird gestützt durch die Beobachtung, daß ein Großteil des Geldes bereits zurück in die Tresore der EZB wanderte. Die Banken haben das gerade zu einem Sollzinssatz von einem Prozent erworbene Geld postwendend bei der EZB wieder eingezahlt – zu einem Habenzins von 0,25 Prozent. Dieses Verlustgeschäft wird nur sinnvoll, wenn alternativ noch größere Verluste entstehen, beispielsweise wenn die Banken für spätere Zahlungsverpflichtungen an die EZB auf dem freien Finanzmarkt Kredite zu marktüblichen Zinssätzen aufnehmen müssen.

Über vergangenes Wochenende haben die Banken ihre EZB-Gesamteinlagen auf fast 821 Milliarden Milliarden Euro hochgeschraubt. Die Liquiditätsgranaten von Draghis „Dicker Bertha“ verpufften also in der Luft. Die Milliardenbeträge wandern in die Vorsichtskasse der Banken, anstatt die Wirtschaft anzukurbeln. Weitgehend zerplatzt ist auch die Vision, die Banken würden mit der zusätzlichen Liquidität die Staatsanleihen der maroden Euro-Länder aufkaufen. Dabei wäre das doch das Geschäft des Jahrzehnts. Geld mit einem Zinssatz von einem Prozent leihen und damit Staatsanleihen kaufen, die Spanien und Italien mit fünf bis sechs Prozent vergütet.

Tatsächlich sollen italienische und spanische Banken vor allem mit dem Zufluß aus der ersten Kreditvergabe kräftig Staatsanleihen ihrer eigenen Länder aufgekauft haben. Aber eben nicht ausschließlich. Der Hauptteil dient der Sicherung des eigenen Bankinstituts. Die künftig erwarteten Bankgeschäftsrisiken und ihre finanzielle Absicherung fallen so stark ins Gewicht, daß auf die maximale Profiterzielung aus den Staatsanleihen verzichtet wird. Sie werden offensichtlich doch nicht als so sicher eingeschätzt, wie es die Euro-Retter allenthalben verkünden. Gleichwohl hat die Geldausschüttung der EZB mit ihrer teilweisen Verwendung für den Ankauf von Staatsanleihen den Zinsdruck verringert und zu einem Nachgeben der Renditesätze geführt.

Profitiert haben von diesem Effekt vor allem die Südländer, die den überwiegenden Batzen des Geldregens auffangen. Von der zweiten Tranche über insgesamt 530 Milliarden haben Italien, Spanien und Frankreich 350 erhalten, davon allein Italien 139 Milliarden. Auffällig ist dabei der enorme Zuwachs des Kreditbedarfs französischer Banken. Sie hatten sich bei der Dezember-Zuteilung noch mit 73 Milliarden Euro stark zurückgehalten. Auch für die deutschen Banken galt die EZB-Hilfe eher als unseriös. Sie riefen im Dezember nur 24 Milliarden Euro ab. Anders dagegen die spanischen und italienischen Banken, die bereits bei der ersten Schwemme Spitzenreiter waren und mit jeweils zirka 113 Milliarden Euro zuschlugen.

Widerstand gegen die ebenso leichtfertige wie spendable Kreditvergabe der EZB regt sich mehr und mehr bei der Deutschen Bundesbank. Deren Präsident, Jens Weidmann, ist dabei weniger der marktfremde Zinssatz von einem Prozent als vielmehr die mangelhafte Absicherung der Zentralbankkredite ein Dorn im Auge. Schriftlich hat er EZB-Chef Draghi aufgefordert, zu den alten Regeln der Kreditabsicherung zurückzukehren und insbesondere die neue Möglichkeit einer Beleihung von Einzelkrediten wieder abzustellen. Der Erfolg dürfte ihm allerdings bei dem immer geringer werdenden deutschen Einfluß auf die EZB-Beschlüsse verwehrt bleiben.

Mit dem geldpolitischen Fehlschlag, den die EZB mit ihren Brachialaktionen letztlich erlitten hat, hat sich die Euro-Rettungspolitik auch monetär in eine Sackgasse manövriert: Sie ist in die klassische Liquiditätsfalle getappt. Das zusätzliche Geld wandert in die Spekulationskasse ohne reale Effekte. Die bedingungslose Anlehnung an den politischen „alternativlosen“ Rettungseifer läßt befürchten, daß die EZB sich dennoch nicht von ihrem falschen Kurs abbringen läßt. Der nächste Einsatz der „Dicken Bertha“ ist daher absehbar. Draghi hat, als er diesen Vergleich zog, nur eine geringe Kenntnis der Geschichte bewiesen. Die „Dicke Bertha“ hat den Deutschen im Ersten Weltkrieg nicht zum Sieg verholfen: Sie war zu teuer, zu unbeweglich und wirkungslos. Von daher stimmt allerdings der Vergleich zur Euro-Rettungspolitik wieder.

 

Neue EZB-Refinanzierungsgeschäfte

Wegen der anhaltenden Finanz- und Euro-Krise wurde von der Europäischen Zentralbank (EZB) am 21. Dezember 2011 das erste längerfristige Refinanzierungsgeschäft (Longer-term refinancing operation/LTRO) angeboten. Dabei wurden den Banken 489 Milliarden Euro zu einem Zinssatz von 1,0 Prozent für drei Jahre zur Verfügung gestellt. Netto gerechnet, erhöhten sich die EZB-Ausleihungen dabei aber nur um etwa 200 Milliarden Euro, da die Institute den Großteil der LTRO-Gelder dazu nutzten, kürzer laufende EZB-Darlehen in den neuen Dreijahres­tender umzuschichten. Laut EZB-Angaben wurden insgesamt 52,2 Milliarden Euro von den Banken für den Kauf von Euro-Staatsanleihen investiert. Da diese höher verzinslich sind (Italien etwa 6,6 Prozent), erzielen die Banken so einen Gewinn – wenn die Anleihe wirklich bedient wird. Bereits am 29. Februar dieses Jahres wurde die EZB-Operation wiederholt. Dabei wurden 529,5 Milliarden Euro zu den gleichen Konditionen bereitgestellt.

Offenmarktgeschäfte der EZB:

www.ecb.int

Foto: Die millionenteure „Dicke Bertha“ verschießt Euro-Milliarden: Die Banken haben das gerade zu einem Sollzinssatz von einem Prozent erworbene Geld postwendend bei der EZB wieder eingezahlt

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