© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Differenzieren, bis das Problem weg ist
Integration: Die Autoren der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ bieten viel Diskussionsstoff und einfache Lösungen
Fabian Schmidt-Ahmad

Wahrscheinlich ist das Bundesinnenministerium selbst von der Wirkung der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ überrascht. Kaum daß Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den 764 Seiten starken Wälzer in der vergangenen Woche der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, setzte eine breite Diskussion über die tatsächlichen oder nur angenommenen Ergebnisse ein. Jeder vierte Moslem lehnt eine Integration in Deutschland ab, rechneten Zeitungen vor. Eine falsche Interpretation der Studie, lautete prompt die Entgegnung von Islamfunktionären. „Wenn man sie richtig liest, beweist die Studie nur das, was wir immer gesagt haben“, behauptete beispielsweise der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur. Nicht der Islam, sondern die deutsche Gesellschaft sei verantwortlich für das offenbar gewordene Integrationsdefizit: „Diskriminierung und Ausgrenzungserfahrungen gepaart mit einem falschen Religionsverständnis erzeugen Widerstand gegen die Integration.“

In der Tat kann man den Autoren der Studie nicht vorwerfen, die Dogmen der Politischen Korrektheit verletzt zu haben. „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, heißt es gleich in der Einleitung. „Daran kann nicht gezweifelt werden.“ Warum nicht, fängt doch mit Zweifel die Wissenschaftlichkeit an? Stattdessen fragen die Autoren, „wie Deutschland als Aufnahmegesellschaft einerseits mit den Einwanderern umgeht und wie diese andererseits ihre Leben in Deutschland zu gestalten gedenken“. Was die ablehnende Haltung der Deutschen betrifft, so wollen sie Vorurteile sehen, die durch Unkenntnis und einseitige Informationen entstanden seien: „Terrorismus geht aus Sicht des Fernsehens – so könnte man überspitzt formulieren – von fundamentalistischen Islamisten aus.“ Dies würde „generalisierende Zuschreibungen“ auf Moslems in Deutschland nahelegen.

Trotzdem sind die Autoren der Ansicht, „daß nur äußerst wenige Muslime aus ihrem Zorn die Konsequenz ziehen, sich einer Terrororganisation anzuschließen“. Dabei verwenden sie einen sehr eng gefaßten Extremismusbegriff: „Im Rahmen dieser Studie soll der Begriff Extremismus nur auf diejenigen muslimischen Personen und Organisationen angewandt werden, die aktiv Maßnahmen ergreifen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind oder die ein derartiges Vorgehen begrüßen oder unterstützen.“

Diejenigen, die solche Aktivitäten lediglich tolerieren, werden hierunter nicht erfaßt. Dabei dürften sie die schweigende Mehrheit, und nicht zuletzt darum für politische Maßnahmen die interessanteste Gruppe darstellen, die sich durchaus unter dem äußerst weit gefaßten Integrationsbegriff der Autoren subsumieren lassen, der Integration als „ein Beibehalten der traditionellen Herkunftskultur bei einem gleichzeitigen Übernehmen der neuen Mehrheitskultur“ definiert.

Wenn dann bei den Erhebungen der Studie 78 Prozent der befragten Moslems zwischen 14 und 34 Jahren mit deutschem Paß „Integration mehr oder weniger befürworten“, so stehen ihnen 22 Prozent gegenüber, die noch nicht einmal bereit sind, diesen Minimalkonsens zu tragen. Erschreckende Zahlen, die noch gar nicht die Gruppe der Moslems ohne deutschen Paß berücksichtigt. Hier sind es ganze 48 Prozent, welche die deutsche Gesellschaft strikt ablehnen.

Und die Lösung der Autoren? Differenzieren, differenzieren, bis vom Problem nichts mehr da ist: „Die meisten fundamentalistisch-religiösen Muslime lehnen religiös motivierte Gewalt ab. Wirft man nun derartigen Gruppierungen vor, Haß zu predigen, oder wirft man sie mit islamistischen Extremisten in einen Topf, verstärkt man nur das (…) einigende Gefühl, Opfer einer kollektiven Diskriminierung zu sein.“ Den Umkehrschluß, denjenigen eine andere Identität anzubieten, die eben mehr ist als die bloße Teilhabe an einer „deutschen Mehrheitsgesellschaft“ mit den einhergehenden Pflichten und Erwartungen, den ziehen die Autoren nicht.

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