© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Schwarz-gelbe Schattenspiele
Koalition: Union und FDP bewegen sich nicht nur bei der Euro-Rettung zunehmend auf dünnem Eis
Paul Rosen

Mit dem nahenden Frühling machen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Führungen der Koalitionsparteien Erfahrungen wie der Wanderer am Wasser: Das Eis wird dünner. Die bürgerliche Koalition, ohnehin nur noch ein Schatten ihres Anspruchs aus dem Wahlkampf 2009, kann jeden Moment einbrechen.

Merkel hatte mit der Nominierung Joachim Gaucks für das Amt des Bundespräsidenten, die erste schwere persönliche Niederlage hinnehmen müssen. Bei der Abstimmung über die Griechenland-Hilfe erreichte sie im Bundestag nicht mehr die psychologisch wichtige Kanzlermehrheit. Das Bundesverfassungsgericht stoppte mit seinem jüngsten Urteil zum Neuner-Gremium des Haushaltsausschusses, das wichtige Milliardenpakete geräuschlos und nichtöffentlich beschließen sollte, die Geheimratspolitik des Kanzleramts und der Unionsführung.

Kein Problem ist gelöst. Die Euro-Rettungsschirme brauchen mehr Geld, und Griechenland ist ohnehin nicht mehr zu retten. „Wollte man den Griechen wirklich helfen, müßte man ihnen das Geld als Austrittshilfe geben“, verlangte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Statt dem Rat zu folgen, ließ Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) durchblicken, es könnte nach den 130 Milliarden Euro von Ende Februar noch ein drittes Griechenland-Paket geben.

Längst blicken Öffentlichkeit und auch die meisten Abgeordneten nicht mehr durch, wer in Europa für was haftet und warum. Eine Zahl aber ist dabei wichtig: 211 Milliarden Euro. Die hatten deutsche Politiker feierlich als Höchsthaftungsgrenze der Bundesrepublik für den Euro-Rettungsschirm EFSF festgelegt. Und an dieser Zahl werden sie gemessen werden. Die Garantien waren eisern: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im weiteren Verfahren die strikte Einhaltung des vorgegebenen Garantievolumens der EFSF zu gewährleisten“, beschlossen die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen am 26. Oktober des vergangenen Jahres. CSU-Chef Horst Seehofer präzisierte: „Die Gesamthaftung Deutschlands bei der Euro-Rettung in Höhe von 211 Milliarden Euro darf nicht erhöht werden. Das ist die rote Linie“. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder ergänzte: „Wir haben der Bundesregierung klar gesagt, daß es bei der festgelegten Haftungsobergrenze von 211 Milliarden Euro bleiben muß. Kanzlerin und Finanzminister haben dies zugesagt.“ Tatsächlich sagte Schäuble: „Deutschlands Haftung ist auf 211, oder genauer 211,0459 Milliarden Euro begrenzt.“

Selbst die Grünen garantierten mit. Deren Haushaltsexpertin Priska Hinz erklärte nach Einführung eines „Hebels“, eines komplizierten Finanzinstruments, das das Volumen des EFSF aufbläht, aber nicht die Garantiesumme: „Deutschlands Bürgschaft bleibt auch nach einer Hebelung gleich, nämlich bei 211 Milliarden Euro.“

Die europäische Realität ging zwischenzeitlich über die Garantieerklärungen deutscher Politiker hinweg. In Europa wurde beschlossen, den neuen ständigen Rettungsschirm ESM um ein Jahr auf Mitte 2012 vorzuziehen und den EFSF solange parallel laufen zu lassen. Damit sind die 211 Milliarden ohnehin durchbrochen, auch wenn man sagen könnte, das gilt nur für eine begrenzte Zeit.

Statt zum gegebenen Wort zu stehen und damit Tugenden wie Ehrlichkeit und Anstand einzuhalten, werden Maßnahmen überlegt, Deutschland stärker haften zu lassen – aber so, daß die Öffentlichkeit das Spiel nicht durchschaut. Seehofer, den man intern nur noch „Drehhofer“ nennt, sagte Ende Februar, eine Ausweitung des Rettungsschirms ESM, die von anderen europäischen Regierungen gefordert wird, rücke näher. Um 500 Milliarden ausleihen zu können, muß der ESM 620 Milliarden Euro Grantien von den Euro-Mitgliedsländern und 80 Milliarden Bareinlagen haben. Davon muß Deutschland 168 Milliarden Euro Garantien und 22 Milliarden bar einzahlen. Die deutsche Gesamthaftung würde also – die Auflösung des EFSF vorausgesetzt – unter 211 Milliarden bleiben.

Davon kann wohl keine Rede sein, wie Äußerungen aus der FDP klarmachen. „Ich schließe nichts aus“, sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle auf die Frage nach der ESM-Ausweitung. Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) weist den Weg der Fusion beider Schirme: „Ein Kompromiß wäre, daß die Mittel, die der EFSF bis Mitte des Jahres ausgereicht hat, mit dem ESM verrechnet werden.“ Das wäre die Ausweitung, auch wenn das kaum noch jemand verstehen würde. „Derzeit steht die Debatte zwar nicht an“, flankiert der angeschlagene FDP-Chef Philipp Rösler und sagt, alles hänge von den Anleihemärkten ab.

Das Verwirrspiel wird für die einfachen Abgeordneten der Koalition unerträglich. Diejenigen von ihnen, etwa Haushaltspolitiker, mit Kenntnis von den Dingen, sind ohnehin von blankem Entsetzen erfüllt. Klaus-Peter Willsch (CDU), Peter Gauweiler (CSU) und Frank Schäffler von der FDP waren die ersten, die die Dinge beim Namen nannten. Die Zahl der Kritiker wächst, verlassen kann sich Merkel auf die CDU für die wichtige ESM-Abstimmung bereits jetzt nicht mehr. Jeden Tag können Fronten zusammenbrechen, die jetzt noch stabil aussehen. Die vermutlich auf lange Sicht letzte bürgerliche deutsche Regierungskoalition sieht ihrem Herbst entgegen. Nicht so Merkel, für die die SPD, nach den Worten der Publizistin Cora Stephan die „Schleppenträgerin für die Kanzlerin“, bereitsteht.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel und FDP-Chef Philipp Rösler: Die einfachen Abgeordneten haben längst den Überblick verloren

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