© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Theoretiker der Kultgemeinde
Sebastian Maaß porträtiert den politischen Publizisten der Konservativen Revolution Wilhelm Stapel
Wolfgang Saur

Es bleibt das Verdienst Armin Mohlers, die eigentümliche Transformation rechten Ideenguts und Erscheinung eines neuen revolutionären Typs nach dem Ersten Weltkrieg im paradoxen Begriff einer Konservativen Revolution erörtert (1950) und so ein ganzes Forschungsfeld eröffnet zu haben. Auch Karlheinz Weißmann, der das Grundlagenwerk 2005 textlich neu faßte, betont in seiner kürzlich erschienenen Biographie Mohlers die epochale Wirkung des Handbuchs auf Zeitgenossen und Nachwelt.

Diese reicht bis heute. Das zeigt auch die Arbeit des produktiven Nachwuchs-historikers Sebastian Maaß, der in kurzer Zeit einen beträchtlichen Teil jung-konservativer Ideen und Figuren neu erschloß. In rascher Folge hat er Analysen zu Edgar Jung (2009), zu Arthur Moeller van den Bruck (2010) und Othmar Spann (2010) publiziert. Nun legt er eine Arbeit zu Wilhelm Stapel und seinem Hamburger Kreis vor.

Maaß beschränkt sich nicht auf Persönlichkeit und Ideenreferat. Neben Biographie, Werkschau, detaillierter Themenanalyse und geistesgeschichtlicher Einordnung beziehen alle vier Bände auch Kollegen und Schüler mit ein, so daß der Gruppencharakter der Ideenschmieden hervortritt. Diese Struktur qualifiziert auch die vorliegende Arbeit. Auf diese Weise treten Umrisse der rechtsintellektuellen Weltanschauungslandschaft Weimars hervor: Hamburg (Stapel), Berlin (Juni-Klub, Motzstraße), München (Jung), Wien (Spann-Kreis). Den analytischen Teil ergänzen Dokumente. Sie fesseln nicht wenig, so Stapels Apologie vor der Spruchkammer (1946) oder seine Korrespondenz mit Armin Mohler.

Mohlers teils eigenwilliger hermeneutischer Blickwinkel fasziniert noch heutige Interpreten. So auch den Autor, der Mohlers nietzscheanischen Motiven von Bild (statt Begriff), Zyklus und Kugel (statt Linearität) und postchristlichem Heidentum treu bleibt. Als sperrig erwies sich dies Schema indes stets bei religiösen Denkern – ein Punkt, der schon zwischen Stapel und Mohler strittig war.

Gleichwohl gelingt Maaß eine stringente Würdigung Stapels, des prominenten, heute freilich wenig bekannten Autors des „Christlichen Staatsmanns“. Wilhelm Stapel (1882–1954) studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Volkswirtschaft und promovierte 1911 bei Edmund Husserl. Bis 1917 war er Schriftleiter des Kunstwarts, des volkspädagogischen Organs von Ferdinand Avenarius und des „Dürerbunds“. Nach patriotischer Auseinandersetzung mit Avenarius übernahm er 1917 die Leitung des Hamburger „Volksheims“ (zur Bildung der Arbeiterjugend) und 1919 die Schriftleitung des Deutschen Volkstums. Unter seiner Leitung wurde die ursprünglich gewerkschaftlich-deutschnationale Zeitschrift zu einem wichtigen Organ der intellektuellen Rechten. Mit Hans Bogner und den Brüdern Albrecht Erich und Gerhard Günther bildete Stapel den Schwerpunkt der Hamburger Gruppe um die Hanseatische Verlagsanstalt, die zahlreiche Bücher der Rechten verlegte, so auch Stapels Hauptwerk, „Der christliche Staatsmann“ (1932).

Dort entfaltet er sein Konzept des Volksnomos in Anlehnung an Bogners Gedanken zur antiken Polis. Im Polisgott, so Bogner, sei der „Lebensgeist, die einheitliche Kraft des als geschlossenes Individuum zu betrachtenden Volkes“ gewissermaßen Person geworden. Der Nomos, die Gesamtheit der Gesetze und des Herkommens, erscheint als „göttliches Gebot“, seine Beachtung als Pflicht. Das Volk war also ursprünglich Kultgemeinde. In ihr wurzelt der Nomos, er macht jene zum Volk. Jedes Volk hat seinen besonderen Nomos, und „diese Mannigfaltigkeit der Nomoi entspreche Gottes Willen“. Daher die substantielle Verschiedenheit der Kulturen.

So steht die Nomostheologie der Hamburger zwischen dem Geschichtsdenken Rankes und dem modernen „Ethnopluralismus“. Sie beschäftigte viele Jungkonservative, so auch Max H. Boehm, der das prominenteste Werk zum Thema verfaßt hat: „Das eigenständige Volk“ (1932). Hier wurde Stapels „Volkheit“ weiterentwickelt.

Diese bedeute, so Boehm, nicht bloß Typisches, vielmehr sei sie eine ästhetische und sittliche Norm. Sie umschließe die Polarität von Sein und Wahrheit, sei sowohl ethnisch als ethisch und die eigentlich geschichtsbildende Kraft. Das Volk als Subjekt der Geschichte sei „eine Idee Gottes“, man könne auch sagen: „eine Idee der Natur oder eine Erscheinung des Dinges an sich“ (Stapel). Was den philosophischen Zug der Nomosidee unterstreicht. Diese also bot nicht nur ein Identitätsmodell, sondern auch eine Lösung Kants, seiner Antinomien, und markiert die Polarisierung von Erfahrung und Idee, Sein und Sollen, Fakt und Norm. Trotz Vorrang des Volkes vor dem Staat (der politischen Selbstorganisation einer Gemeinschaft) fokussiert Stapel Regierung und Politiker in besonderer Weise. Den Staatsmann nun charakterisieren die Kraft der Ordnung, des Kampfs und der Autorität.

Sein Verständnis von Säkularisierung entwickelt Stapel vor diesem Hintergrund: „Väterliche Herrschaft werde durch rationale Verwaltung abgelöst“, die kriegerische, unterscheidungsfähige Gemeinschaft durch eine pazifistische Zivilgesellschaft ersetzt und das Charisma des Staatsmanns in der demokratischen Wahl abgeschafft. So erscheint der Liberalismus als kritisches Gegenmodell, dessen Träger aber geschichtlich degeneriert. Der liberale Mensch sei „befreit von der Last der Vergangenheit und von der Last der Ewigkeit. Die Vergangenheit ist ihm das dumpfe Chaos, aus dem er sich erhoben hat“, die Ewigkeit bloß „eine Angst der Kreatur“. Über den Nationalsozialismus hingegen täuschte Stapel sich. 1933 suchte er zunächst mitgestaltend einzugreifen. Die Illusion zerbrach, als aggressive Parteipublizisten seine ideologischen „Defizite“ (den fehlenden Biologismus) anprangerten, Stapel sich seines Glaubens entsann und er Hitler als angemaßten, widergöttlichen „Heilsbringer“ durchschaute.

Sebastian Maaß: Starker Staat und Imperium Teutonicum: Wilhelm Stapel, Carl Schmitt und der Hamburger Kreis. Regin Verlag, Kiel 2011, broschiert, 190 Seiten, Abbildungen, 18,95 Euro

Foto: Wilhelm Stapel, um 1930: Die Polarität von Sein und Wahrheit als sowohl ethnisch als ethisch die eigentlich geschichtsbildende Kraft des Volkes

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