© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Dieses so wunderliche Land
Das lange verschollene Werk von 1936 der sowjetischen Publizisten Ilja Ilf und Jewgeni Petrow über ihre Eindrücke aus Amerika
Erik Lehnert

Das russische Autorenduo Ilja Ilf (1897–1937) und Jewgeni Petrow (1903–1942) muß in der Sowjetunion der dreißiger Jahre außerordentlich populär gewesen sein. Das geht zumindest aus dem Vorwort des vorliegenden Buches hervor. Leider erklärt es nicht, warum Ilf/Petrov in Deutschland nie richtig bekannt geworden sind. Vielleicht liegt es an der Literaturgattung, der Satire, die in Deutschland keine besondere Wertschätzung genießt und deshalb nicht als förderungswürdig gilt. Es kann aber auch daran liegen, daß ihre Satiren dem real existierenden Kommunismus den Spiegel vorhalten – was man hierzulande – insbesondere in den maßgeblichen Feuilletons – nicht besonders gern hat.

Gänzlich unbekannt sind die beiden im Westen jedoch nicht, da ihr brillanter Doppelroman „Die zwölf Stühle/Das goldene Kalb“ (1928/31), der die Verhältnisse in der Sowjetunion satirisch spiegelt, in einigen Übersetzungen vorliegt. Vom ersten Teil gibt es sogar eine Verfilmung von Mel Brooks und eine relativ aktuelle Neuübersetzung (2003). Gerüchteweise hörte man von dem sagenhaften Reisebericht der beiden aus den Vereinigten Staaten.

Daß er jetzt erstmals in deutscher Übersetzung, und dazu noch vollständiger, vorliegt, ist ein kleines Ereignis, für das man dem Eichborn Verlag dankbar sein muß, der dieses Werk in bibliophiler Aufmachung in seiner wenige Monate später an den Berliner Aufbau-Verlag verkauften „Anderen Bibliothek“ präsentiert. Endlich kann man dieses Buch lesen. Man bekommt darin den Blick von zwei Sowjetrussen präsentiert, die Amerika mit wachem Blick durchstreifen und versuchen, ihren Genossen dieses für sie so wunderliche Land näherzubringen. Der Reiz liegt nicht zuletzt darin, daß wir uns bei der Lektüre selbst überprüfen können, inwieweit wir die Segnungen des American way of life verinnerlicht haben.

Ilf und Petrow müssen zum Zeitpunkt der Reise so bekannt gewesen sein, daß man ihnen einen stellvertretenden Blick zutraute und gleichzeitig doch so konform, daß sie nicht vom amerikanischen Traum eingefangen werden würden. Seit 1932 waren sie regelmäßige Autoren der Prawda, wo bereits im November 1935 die erste Reportage aus Amerika erschien. Am 19. September 1935 waren sie in Moskau aufgebrochen und von Le Havre mit einem Dampfer nach New York gefahren, wo sie am 7. Oktober eintrafen. Dort sahen sie sich einige Wochen um, bevor sie ein Auto erwarben und mit einem befreundeten Ehepaar (wobei die Frau die ganze Zeit fahren mußte) die Vereinigten Staaten von Ost nach West und wieder zurück durchreisten, insgesamt mehr als 16.000 Kilometer durch 25 Staaten. Am 22. Januar 1936 legte der Dampfer zur Rückfahrt ab und Anfang Februar waren sie wieder in Moskau.

Bereits während der Reise hatten sie ihren Reisebericht begonnen, der in der vorliegenden Ausgabe, in der die Eingriffe der sowjetischen Zensur wieder rückgängig gemacht wurden, 47 Kapitel umfaßt. Was dabei herausgekommen ist, läßt sich vielleicht am ehesten als eine Mischung aus „On the Road“ und „Gullivers Reisen“ beschreiben. Mit erstem hat es diese gehetzte Fortbewegung, das Ständig-auf-Achse-sein und die Ruhelosigkeit gemeinsam, so daß man manchmal meint, es geht den Autoren lediglich ums „Kilometerfressen“. Auf der anderen Seite bleibt ihnen dieses Land rätselhaft und ähnlich wie Gulliver versuchen sie immer wieder, diese andersartige Welt mit ihrer Heimat in Einklag zu bringen.

Der Titel „Das eingeschossige Amerika“ will gegen das Vorurteil angehen, daß Amerika das Land der Wolkenkratzer sei, die es in Wirklichkeit nur in einigen wenigen Großstädten gebe. „Amerika ist überwiegend ein Land der ein- und zweigeschossigen Häuser. Der größte Teil der Bevölkerung lebt in Kleinstädten…“ Dies Land kommt den beiden farb- und gesichtslos vor, sie bemängeln die Doppelmoral seiner Bewohner, das Essen schmeckt fad und jedes Hotel hat die gleichen Möbel, alles ist standardisiert. Die Amerikaner haben keine Kultur, vergnügen sich beim Striptease anstatt zum Ballett zu gehen und wissen die besten Musiker der Welt nicht zu schätzen. Dagegen erstrahlt die Heimat in merkwürdigem Glanz: „Immerzu verspürten wir den dringenden Wunsch, uns zu beschweren, und, wie es sowjetischen Menschen eigen ist, Vorschläge zu machen. (…) Aber wir konnten uns nirgendwo beklagen.“

Begeistern können sich die beiden vor allem für Technik, die modernen Straßen und den amerikanischen Service. Aber auch die Hilfsbereitschaft des Amerikaners und daß er Wort hält, ohne viele Worte zu machen, beeindruckt sie. Sie treffen Henry Ford („die interessanteste Sehenswürdigkeit“) und Hemingway, besuchen Hollywood und versuchen sich an einer Typologie amerikanischer Filme. Die amerikanische Demokratie sei eine zerbrechliche Äußerlichkeit und deshalb steht für Ilf und Petrow fest: „Amerika weiß nicht, was morgen mit ihm sein wird. Wir wissen und können mit einer gewissen Exaktheit sagen, was mit uns in fünf oder zehn Jahren sein wird.“ Der Wert des Buches liegt aber nicht in seinen prognostischen Aussagen, sondern im subjektiven Blick der Autoren, der nur hin und wieder durch eine staatstragende Sowjet-Objektivität getrübt wird.

Ilja Ilf, Jewgeni Petrow: Das eingeschossige Amerika. Eine Reiseerzählung. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2011, gebunden, 700 Seiten, Abbildungen, 65 Euro

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