© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Brüsseler Planwirtschaft
EU-Gipfel: Der neue Fiskalvertrag konzentriert die Macht in Europa allein auf die Europäische Union
Bernd-Thomas Ramb

Der vollständige Titel des EU-Fiskalvertrags, der am Rande der Tagung des Europäischen Rates unterzeichnet wird, sagt bereits alles: „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“. Die anhaltende Diskussion über die Versuche, Griechenland vor dem Staatsbankrott zu retten und die damit gefährdete Euro-Währung zu erhalten, verleitet dazu, allein den Stabilitätsaspekt des Vertrags wahrzunehmen. Doch der Vertrag geht weit darüber hinaus, er bereitet eine EU-einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik vor.

Die zentrale Koordinierung und Steuerung soll dabei keinesfalls der ordnungspolitischen Konzeption einer freien und sozialen Marktwirtschaft folgen, der Deutschland in der Nachkriegszeit so erfolgreich anhing, sondern eine Zentralverwaltungsbürokratie wiederbeleben, wie sie die (nicht nur) wirtschaftlich untergegangenen sozialistischen Staaten praktizierten und wie sie Frankreich viele Jahrzehnte ohne Gewinn an Wohlstand ausprobierte. Die Vorteile können die Macher des Vertrages also nicht in der wirtschaftlichen Verbesserung sehen, sondern im verborgenen eigentlichen Ziel der Konzentration der Macht in Europa auf eine einzelne Organisation: die Europäische Union.

Das Arglistige an dem Vertrag ist das absehbare Scheitern des ersten Aspekts, der Stabilisierung der Staatsverschuldung. Diese gilt laut Vertrag als erreicht, „wenn der jährliche strukturelle Haushaltssaldo seinem länderspezifischen mittelfristigen Haushaltsziel im Sinne des geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakts entspricht, mit einer niedrigeren Grenze des strukturellen Defizits von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen.“ Im Klartext bedeutet die nunmehr herabgesetzte Defizitgrenze nichts mehr als eine Anpassung der langfristigen nationalen Haushaltsplanung an die neue Plangröße.

Ob die Wirklichkeit dann der Planung folgt, muß offenbleiben. Erfahrungsgemäß neigen Regierungen dazu, die erwarteten Staatseinnahmen relativ optimistisch anzusetzen. Die Ausgaben lassen sich dann leicht den festgelegten Grenzen anpassen. Fallen die Staatseinnahmen geringer aus, ist dann halt auch das Defizit unerwartet höher. Bis Korrekturmechanismen eingreifen können, ist das Haushaltsjahr vorbei. Im nachfolgenden Jahr kann das Spiel wiederholt werden.

Die Fehlentwicklung ist nicht zwingend durch ein entsprechendes Haushaltsplus im Nachfolgejahr auszugleichen. Der Vertrag signalisiert zwar einen „automatischen Korrekturmechanismus“, der aber lediglich die Verpflichtung vorschreibt „Maßnahmen zu ergreifen, um die Abweichungen innerhalb eines festgelegten Zeitraums zu korrigieren.“ Eine Korrektur kann damit auch durch eine entsprechend höhere Einnahmenschätzung erfolgen.

Zudem schafft der Vertrag vorsorglich genügend Defizitspielraum. Erstens ist das strukturelle Haushaltssaldo nicht nur konjunkturbereinigt, sondern auch „ohne Anrechnung einmaliger und befristeter Maßnahmen“ zu ermitteln. Zweitens genehmigt der Vertrag „Ausnahmefälle“ im Falle eines „außergewöhnlichen Ereignisses, das sich der Kontrolle der betreffenden Vertragspartei entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt, oder einen schwerwiegenden Wirtschaftsabschwung“. Auf dieser Grundlage werden in Deutschland seit Anfang der siebziger Jahre Etatdefizite begründet. Da können gerade die maroden Euro-Staaten dies in Anspruch nehmen. Statt einer Verschärfung wird tatsächlich die Lizenz zum überzogenen Haushaltsdefizit erteilt!

Die Aufweichung der ursprünglich angekündigten Strenge der Stabilitätsvorschriften zeigt sich auch im Verzicht, die „Schuldenbremse“ in den nationalen Verfassungen verpflichtend einzubinden. Jetzt ist nur noch von „verbindlichen und dauerhaften – vorzugsweise verfassungsrechtlichen – Bestimmungen“ die Rede. Daß dies alles nicht funktionieren wird, dürfte den Urhebern des Vertrags bewußt sein. Das Scheitern des Stabilitätszieles ist praktisch vorprogrammiert – begründet dann aber um so mehr die folgenden wesentlicheren Abschnitte des Vertrags.

Unter dem Titel „Wirtschaftspolitische Koordinierung und Konvergenz“ „verpflichten sich die Vertragsparteien, zusammen auf eine Wirtschaftspolitik hinzuarbeiten, die das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion und das Wirtschaftswachstum durch eine Stärkung der Konvergenz und der Wettbewerbsfähigkeit fördert.“ Das ist die klare Ansage einer staatlich reglementierten Wirtschaft unter dem Einheitsdach der EU, die zudem durch die Verpflichtung der Staaten abgesichert wird, „daß alle wichtigen wirtschaftspolitischen Reformen, die sie planen, zwischen ihnen vorab erörtert und gegebenenfalls abgestimmt werden“.

Abschließend besiegelt der Vertrag die „Steuerung des Euro-Währungsgebiets“. Dazu sollen künftig systematisch „Euro-Gipfel“ einberufen werden, „um Fragen im Zusammenhang mit der spezifischen Verantwortung, die die Vertragsstaaten, deren Währung der Euro ist, im Hinblick auf die einheitliche Währung angehen, weitere die Steuerung des Euro-Währungsgebiets betreffende Fragen und die dafür geltenden Vorschriften sowie strategische Orientierungen für die Steuerung der Wirtschaftspolitik zur Förderung der Konvergenz im Euro-Währungsgebiet zu erörtern.“

Ein bloßes Kaffeekränzchen ist damit nicht gemeint. Hier soll massiv in die nationalstaatliche Kompetenz eingegriffen werden. Kein deutscher Politiker, der diesem Vertrag zustimmt, kann später behaupten, das wäre nicht ausdrücklich angesprochen worden.

 

Fiskalvertrag zur Euro-Rettung

Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalvertrag) wurde auf dem Gipfel am 30. Januar dieses Jahres von 25 Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen. Nur die liberal-konservativ regierten Nicht-Euro-Staaten Großbritannien und die Tschechei wollen dem Fiskalvertrag nicht beitreten. Die 25 Vertragsstaaten verpflichten sich unter anderem auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik sowie dazu, alle größeren wirtschaftspolitischen Reformen vorab abzusprechen und zu koordinieren. Wer künftig Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM in Anspruch nehmen will, muß den Fiskalvertrag bis März 2013 ratifizieren und eine Schuldenbremse in nationales Recht einführen. Dadurch wird aber das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente drastisch beschnitten. Die Euro-Gruppe (17 Länder) bekommt einen offiziell gewählten Präsidenten. Der Fiskalvertrag soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten.

Arbeitsübersetzung des Fiskalvertrages: www.kapitalmarktrecht-im-internet.eu

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