© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Max Schmeling und die Arabellion
Billy Six

Berlin-Dahlem. Eine der vornehmen und ruhigen Ecken der Hauptstadt. In der Podbielskiallee 42 wohnte einst die Boxlegende Max Schmeling. Die klassizistische Villa strahlte noch bis vor kurzem Glanz und Würde aus. Doch nun ist alles anders: Absperrzäune, Polizisten, genervte Nachbarn.

Das geschichtsträchtige Anwesen ist Sitz der libyschen Botschaft – oder vielmehr, was von der diplomatischen Organisation übrig ist. Immerhin: Die neue Flagge, Rot-Schwarz-Grün, hängt am Fahnenmast. Doch hinter den Mauern herrscht offenbar zeitweilig das Chaos.

„Wissen Sie“, sagt der ganz in Dunkelblau gekleidete deutsche Wachmann, „ich kann in ein Arbeitsamt im ärmsten Problemkiez von Berlin gehen – es wird dort immer noch zivilisierter zugehen als hier.“ Der Mann schüttelt den Kopf. „Seit November sind jeden Tag vier Mitarbeiter unseres privaten Sicherheitsdienstes hier im Einsatz. Seitdem mußte trotzdem schon fünfmal die Polizei auf das Gelände vorrücken, um für Ordnung zu sorgen.“ Als es einmal zu Randale im Gebäude selbst gekommen sei, mußten etwa 60 Polizisten anrücken, berichtet er weiter. Heute ist es ruhig. Nur zwei Berliner Beamte beobachten vor dem hohen Zaun die Lage.

Drinnen arbeitet Aly al Kothany. Er ist seit dem Einmarsch der Rebellen in Tripolis der kommissarische Botschafter in Deutschland. Der 66 Jahre alte Arzt aus Bayern hat zwar keine Erfahrungen im diplomatischen Dienst, aber er ist intelligent und kann auch mal zuzuhören. Das Problem: Es fehlt ihm an Durchsetzungsvermögen. Und so marschieren jeden Tag Libyer durch seine Büroetage in das obere Stockwerk. Hier gibt es finanzielle Hilfen für Kriegsversehrte und deren Angehörige. Denn Aly versuche sich mehr als Samariter denn als Botschaftschef, ist zu hören. Die „demokratische Neugestaltung“ der Heimat interessiert nur am Rande. „Es geht nur um Kohle“, meint der Aufseher dazu beinahe wütend. Selbst freitags, wenn es eigentlich keinen Publikumsverkehr geben sollte, läßt der Botschafter seine Landsleute nicht in der Kälte stehen. Diese danken es ihm auf ihre Weise. Manch Besucher denkt bis in den späten Abend nicht daran, die Räumlichkeiten zu verlassen. Es wird gegessen und geraucht, der Müll stapelt sich.

„Zwischenzeitlich hatten die Leute hier die Visa-Ausgabe ganz eingestellt“, berichtet der Wachmann. „Dann gab es aber immer wieder Ausnahmen – keine Ahnung nach welchem System das lief. Wenn wir die Organisationsmißstände ansprachen, hieß es, wir hätten hier nichts zu sagen.“ Auch untereinander sei man nicht zimperlich. „Letztens haben vier Libyer einen anderen Landsmann auf die Straße getragen, weil er aus dem falschen Dorf kam.“

Und was ist mit den alten Gaddafi-Anhängern passiert, die hier bis zum Sommer 2011 residierten? „Allesamt verschwunden mitsamt der Waffen im Keller.“ „Wissen Sie“, so die letzten Worte dieses deutschen Beobachters, bevor sich das Tor wieder schließt, „ich kann diesen Leuten eigentlich nur eines wünschen: daß sie schnell wieder einen Diktator bekommen.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen