© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Grüner Gipfelstürmer
Jürgen Trittin: Der ehemalige Bürgerschreck sieht sich längst noch nicht am Ende seiner politischen Karriere in Berlin
Paul Rosen

Kleider machen Leute. Jürgen Trittin hat das Tragen von teuren Armani-Klamotten zum Symbol gemacht – vielleicht um das Göttinger Revoluzzer-Image aus den siebziger Jahren optisch endgültig abzustreifen. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende (57) sieht sich noch nicht auf dem Gipfel seiner Karriere. Außen- oder Finanzminister in einer rot-grünen Koalition will er noch werden. Es schimmert sogar das Ziel durch, erster Kanzler einer grün-roten Regierung zu werden.

Daher muß alles klappen im grünen Bereich. Die Umfragen stehen gut, auch wenn der Zenit der Zustimmung erreicht zu sein scheint. Sie sind kampagnenfähig, nicht nur in Energiefragen. Nach 2010 setzten sie auch Anfang 2012 Joachim Gauck als Präsidentschaftskandidaten durch – diesmal sogar mit höchsten Gewinnchancen, da sich SPD, CDU, CSU, FDP hinter den Grünen-Vorschlag stellten.

Wohl deshalb rastete Trittin aus, als er in der Sendung „Maybrit Illner“ mit angeblichen Rechtstendenzen des Kandidaten Gauck konfrontiert wurde. Er sprach von „Schweinejournalismus“ ausgerechnet im Grünen-Hausblatt taz in Anwesenheit der Chefredakteurin Ines Pohl und fügte hinzu: „Das kenne ich nur von der Bild-Zeitung.“ In der taz hatte Autor Deniz Yücel Gauck vorgeworfen, eine Verharmlosung des Holocaust zu betreiben und ihn als „reaktionären Stinkstiefel“ bezeichnet. Dagegen hatte Spiegel online der taz verkürztes Zitieren vorgeworfen, Gauck verteidigt und vom „Gegenteil einer Verharmlosung“ geschrieben.

Daß Trittin so ausfällig wurde, entspricht seinem Charakter, der trotz aller Übung und Kosmetik immer noch durchkommt. Ehe er 1980 zu den Grünen stieß, war er beim „Kommunistischen Bund“ – einer nicht nur verbal extremistischen Gruppe von Politsektierern. Da Trittin netzwerkfähig ist und rhetorisches Talent hat, rückte er in der Öko-Hierarchie schnell nach oben. Über die niedersächsische Landesregierung gelangte er mit Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ins Bundeskabinett, wo er fortan als Umweltminister nicht ohne Erfolg für Atomausstieg und Dosenpfand werkelte.

Sein Göttinger radikales Vorleben holte und holt Trittin regelmäßig ein. 2001 warf ihm der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback vor, sich nicht eindeutig von einem zynischen Artikel eines anonymen Autors namens „Mescalero“ über das Mordopfer in der Göttinger AStA-Zeitung distanziert zu haben. Der Vorgang schlug hohe Wellen. Der CDU wurde es ebenfalls 2001 zu bunt, als Trittin dem damaligen Generalsekretär Laurenz Meyer die „Mentalität eines Skinheads“ bescheinigte, weil Meyer gesagt hatte: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“

Aber Trittin beherrscht neben Holzhammermethoden auch das Florett, die Zwischentöne. „Herr Gauck war nicht meine Idee, sondern die der Grünen“, stellte er in der Süddeutschen Zeitung geschickt fest. Damit ging er vorsichtig auf Distanz zu dem Kandidaten und hielt sich so ein Hintertürchen offen, falls die Kandidatur doch noch schiefgeht. Trittin sieht Gaucks Nominierung aber als Wendepunkt an, an dem die Koalition aus Union und FDP zu stolpern begann. Das Scheitern scheint unausweichlich. „Für Schwarz-Gelb gilt doch in bezug auf Gauck: „Sie erklären den Kakao für wohlschmeckend, durch den sie gerade gezogen wurden – denn Gauck war der Vorschlag von Grünen und SPD.“ Und wieder folgt die Einschränkung auf dem Fuß: „Ich werde mich hin und wieder über Gauck ärgern.“

Trittin, über dessen Privatleben nur bekannt ist, daß er mit der „Tochter eines Torfbauern“ zusammenlebt und eine Tochter hat, pflegt in der Öffentlichkeit sein Öko-Image: „Ich fahre fast immer mit dem Zug, daher lege ich weniger als 10.000 Autokilometer im Jahr zurück. Bei Flugreisen hängt es von der jeweiligen Terminlage ab“, verriet er der Zeit. Die ersparte ihm die möglicherweise peinliche Nachfrage nach der Vorliebe des Grünen für die Kanareninsel Gomera, die man nur schlecht mit dem Fahrrad erreichen kann. Aber solche Fragen werden dem „König des Talks“ (Tagesspiegel) auch im Fernsehen, wo er regelmäßig zu sehen ist, nicht gestellt.

Trittin habe längst gezeigt, „daß eine wilde, nicht systemkonforme Vergangenheit für das politische Establishment heute kein Makel mehr ist“, befand die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Bericht über Trittins zahlreiche Auftritte bei Repräsentanten der Wirtschaft. Für viele Beobachter ist er längst der starke Mann der Grünen, profiliert als Außen- und Finanzpolitiker gleichermaßen. Alle gehen nicht auf die grüne Leimrute: RWE-Chef Jürgen Großmann soll Trittin nach dessen Auftritt beim „Tönissteiner Kreis“ als Wolf im Schafspelz bezeichnet haben.

Foto: Jürgen Trittin auf dem Weg zur Gauck-Nominierung: Flugreisen nach Terminlage

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