© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Heinz-Werner Stumpf. Der Kassenchef bietet Tarife ohne Abtreibung an und kriegt Ärger
Der Standhafte
Birgit Kelle

Man muß in Deutschland nicht viel tun, um in die fundamentalistische Ecke gestellt zu werden. Einer der schnellsten Wege führt über den Schutz des ungeborenen Lebens. Das muß derzeit auch Heinz-Werner Stumpf erfahren. Als Vorstand der gesetzlichen Betriebskrankenkasse für Industrie, Handel und Versicherungen (BKK IHV) hat es der 58jährige Mainzer als erster in Deutschland gewagt, seinen Mitgliedern in Zusammenarbeit mit dem Lebensschutzverein Pro Life Deutschland eine Versicherungsoption anzubieten, bei der darauf verzichtet wird, Leistungen wie eine Abtreibung in Anspruch zu nehmen. Im Gegenzug wird den Versicherten eine Prämie von 300 Euro ausgezahlt – für jedes Kind, das sie bekommen.

Die Reaktionen sind heftig. Als „Sammelbecken für fundamentale Christen“ wird die IHV etwa im Spiegel bezeichnet – keine Frage, Abtreibung ist in Deutschland nach wie vor ein heißes Eisen. Daß es eine Krankenkasse wagt, die bisherige Finanzierung von Abtreibung – wenn auch nur optional – für die eigenen Mitglieder in Frage zu stellen, verstehen manche schon als Angriff auf feministische Errungenschaften.

Stumpf zeigt sich gelassen. Seine Idee hat er aus der Schweiz. Dort existiert schon seit Jahren eine ähnliche Versicherungsform über Pro Life Schweiz, die bereits 50.000 Mitglieder verzeichnen kann. Stumpf steht da noch am Anfang. Von „seinen“ 16.000 Krankenkassenmitgliedern nutzen bislang erst etwa 1.200 die neue Option, Tendenz allerdings steigend. Darunter sind nach Auskunft der IHV bei weitem nicht nur Christen, sondern auch Juden, Moslems oder auch Hindus, die mit ihren Beiträgen lieber das Leben als den Tod von Kindern finanzieren wollen.

Die Angriffe kommen nicht nur aus der säkularen Presse, sondern auch von den lieben Kollegen. So hat der AOK-Bundesverband eine Zusammenarbeit mit der IHV öffentlich abgelehnt und der Landesverband der Betriebskrankenkassen in Hessen Stumpf nahegelegt, seine Kooperation mit Pro Life zu beerdigen, um, wie es heißt, „weiteren politischen Schaden“ abzuwenden. Das Bundesversicherungsamt hat zu Jahresbeginn sogar ein Prüfungsverfahren gegen Stumpfs Versicherung in die Wege geleitet, Ausgang offen.

In Mainz gilt der Krankenkassenbetriebswirt immerhin noch als angesehener Bürger, der sich in seinem Geburtsort Bretzenheim als Vorstand im Sportverein engagiert und beim Arbeitsgericht ehrenamtlich als Richter tätig ist. Einst SPD-Mitglied, hat er sich 2010 einer lokalen Mainzer Wählerinitative angeschlossen. Für diese geht er als Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl ins Rennen und hat sich vorgenommen, die Stadt Mainz vom politischen Filz zu befreien. Fragt sich, ob da die abtreibungsfreie Krankenkasse nicht sogar das einfachere Projekt ist.

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