© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

„Außergewöhnliche Rechtskonstruktion“
„Junge Welt“: Der linken Tageszeitung drohen Spaltung und finanzielle Einbußen durch eine Mitarbeiterklage
Ronald Gläser

Fünf Minuten Zeit hatte Rainer Balcerowiak, um seinen Arbeitsplatz bei der Jungen Welt (JW) im Dezember zu räumen. Geschäftsführer Dietmar Koschmieder hatte den langgedienten Redakteur der früheren FDJ-Zeitung gefeuert, weil dieser beim Arbeitsgericht Klage eingereicht hatte.

Fünf Minuten. So lange läßt nun auch Richter Michael Korinth die Verfahrensbeteiligten warten: Balcerowiak und sein Anwalt auf der einen Seite, der Anwalt der JW auf der anderen. Die Spannung zum Platzen aufgeladen. 17 Zuhörer haben sich in Saal 216 im Arbeitsgericht Berlin eingefunden, in einer Verhandlung, die normalerweise null Zuhörer hätte. Aber was ist schon normal, wenn eine linkssozialistische Tageszeitung, die sich regelmäßig über Lohndumping, Tarifbruch und prekäre Arbeitsverhältnisse empört, wegen genau dieser Vorwürfe verklagt wird?

Balcerowiak, ein Endfünfziger, nebenbei Weinhändler, sieht seine Rechte als Arbeitnehmer verletzt. Wie wird der Verlag, der sich Arbeitnehmerrechte auf die rote Fahne geschrieben hat, darauf reagieren? Der Richter kommt gleich zur Sache: „Die Pressefreiheit schafft Freiräume, entbindet aber nicht vom Arbeitsrecht.“

Rums. Das sitzt. Die JW hatte in ihrer Klageerwiderung tatsächlich die Pressefreiheit angeführt, die bedroht sei, wenn das Arbeitsrecht voll zur Geltung käme. Wie unpassend. Sie führt gerne die Freiheit im Munde. So warb sie auf Plakaten um Solidaritätsabos, um die „Pressefreiheit zu verteidigen“, als sie im Herbst in der Kritik stand. Am 13. August hatte sie auf der Titelseite den Mauerbau bejubelt. Daraufhin hatten sich selbst Hartgesottene wie Gregor Gysi abgewandt. Nur noch sporadisch kommen aus dem Umfeld der Linkspartei jetzt kleine Anzeigen. Finanziell ein klarer Rückschlag.

Ein weiterer Paukenschlag wäre es, wenn Balcerowiak nun gegen den Verlag 8. Mai siegt. Sein Erfolg vor Gericht könnte das Unternehmen über 100.000 Euro an Gehaltsnachzahlungen kosten, wenn das Arbeitsverhältnis rückwirkend als solches anerkannt würde. Formal war Balcerowiak ein freier Mitarbeiter. Als er eine Umwandlung in ein festes Arbeitsverhältnis erbat, wurden ihm nur 1.890 Euro angeboten. Balcerowiak war das zu wenig. Also reichte er Klage ein, und die Verlagsspitze feuerte ihn als Vergeltungsmaßnahme. Ihm sei Haus- und Schreibverbot erteilt worden, klagt er. Und nicht nur das. Die Firma soll auch den Rest der Belegschaft gebeten haben, sich von ihm zu distanzieren, weil er „die JW zerstören“ wolle.

Offenbar empfindet nicht nur Balcerowiak das verlagsinterne Regime von Geschäftsführer Koschmieder als hart. In linken Internetforen sorgt die Geschichte seit Wochen für Furore. Zum Ärger der JW werden die Vorgänge ausgiebig diskutiert. Angebliche Mitarbeiter beklagen sich demnach über ungleiche Bezahlung, mangelnde Mitbestimmung, Geheimniskrämerei der Chefetage und Günstlingswirtschaft.

Mit Ausnahme des „Stalinismusvorwurfs“ alles Dinge, die es wahrscheinlich in jedem Verlag gibt. Auch ist es üblich, daß kleine Verlage keine Tariflöhne zahlen. Für die JW geht es aber in dieser Frage um ihr Selbstverständnis. Balcerowiak: „Das Glaubwürdigkeitsproblem einer linken Zeitung, die täglich gegen Dumpinglöhne und prekäre Beschäftigung anschreibt, kann man natürlich nicht wegdiskutieren.“

Balcerowiak sieht sich als Opfer. Er habe sich gegen Unternehmerwillkür zur Wehr setzen müssen, sagte er in einem Interview mit der Linken Zeitung. Der Richter ist aufgeschlossen. Am ersten Verhandlungstag ließ er große Sympathien für die Feststellungsklage erkennen. Der hauseigene Tarifvertrag, der nur aus einer sogenannten Öffnungsklausel besteht, sei eine „außergewöhnliche Rechtskonstruktion“ und obendrein völlig veraltet (von 1998). „Da wird ja noch mit D-Mark-Beträgen operiert“, so der Richter.

Balcerowiaks Anwalt trägt daher vor, es müsse der Flächentarifvertrag gelten, weil der JW-Vertrag nichtig sei, die Vergütungen sittenwidrig niedrig. Was soll der Anwalt der JW da antworten? Flüsternd listet er auf, welche Verlage in Berlin keine Tariflöhne mehr zahlen: eine ausgegliederte Redaktion beim DuMont-Verlag hier, der Tagesspiegel dort. „Und die taz ist mit Sicherheit auch draußen“, er spricht so leise, daß er in den hinteren Reihen kaum zu verstehen ist. Für den Anwalt einer linken Zeitung ist es halt schwer, eine Argumentationskette aufzubauen, die da lautet: Die großen Konzerne zahlen unter Tarif, also dürfen wir das auch.

Andere Argumente hat er aber nicht zur Hand. Am Ende der Verhandlung gibt ihm der Richter zwei Weisungen mit auf den Weg: „Sie sollten insbesondere etwas zur Entwicklung der innerbetrieblichen Entgeltstruktur liefern und etwas, was die Gültigkeit des Tarifvertrags angeht.“ Der Firmenadvokat nimmt es mit Demut und verläßt flink den Ssaal.

Balcerowiak plaudert noch mit einem Teil der Anwesenden. Offenbar waren die Zuschauer mehrheitlich auf seiner Seite. Dann zieht er mit seinem Anwalt und einem weiteren Weggefährten von dannen. Die Verhandlung wird fortgesetzt.

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