© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Seife, die nach Wüste riecht
Hyperamerikanische Kunst in der Hypo-Kunsthalle: Leben und Werk der Georgia O’Keeffe in München
Sebastian Hennig

Die auf einer Farm im US-Bundesstaat Wisconsin geborene Georgia O’Keeffe (1887–1986) ist vielleicht die amerikanischste Malerin der Vereinigsten Staaten. Den gängigen europäischen Exerzitien hat sie sich nie unterzogen, keine ästhetischen Impfungen im Pariser Café du Dôme oder im florentinischen Palazzo Pitti empfangen. Vor dem altweltlich geeichten Kulturtrubel New Yorks ist sie in die Wüste New Mexicos ausgewichen. In ihrem Lehmziegelhaus in „O’Keeffe Country“ ankerte sie so fest wie John Ford auf dem Regie-Klappstuhl im Monument Valley.

Nachdem die College-Kunstlehrerin über eine New Yorker Freundin eine Mappe an den Kunstpapst Alfred Stieglitz (1864–1946) lancierte, stellt dieser umgehend ihre Zeichnungen in seiner Galerie aus und beordert sie, die durch verschiedene Lehraufträge in Virginia und Texas tingelt, bald darauf in die Ostküstenmetropole. Dort überläßt er ihr ein Atelier und finanziert ihr für ein Jahr die Beschäftigung mit der Malerei.

1918 läßt er sich von seiner Frau scheiden, um mit seinem Fotomodell zusammenzuleben. 1924, nachdem die Marktgängigkeit als Motiv wie Autorin positiv getestet ist, wird der kunstkommerzielle Pakt in den bürgerlichen Ehestand überführt. Mit Fotos der entblößten Künstlerin vor ihren Bildern machte er diese teuer und jene berühmt.

Das Marketing-Genie fädelte auch einen Scheinverkauf nach Europa ein. Ein Amerikaner in Paris zahlte für einige kleinformatige Täfelchen angeblich einen schwindelerregenden Preis. Tatsächlich wurde das Geld nie gezahlt und die Bilder später wieder eingesammelt. Was davon blieb, war die Möglichkeit, fortan durch diese Nobilitierung in den Staaten erstaunliche Preise durchzusetzen. Die Künstlerin bekannte in der Rückschau: „Ich kann mir gut vorstellen, daß ich künstlerisch viel besser hätte sein können, ohne daß mir jemand Beachtung geschenkt hätte (…) Manche Menschen scheinen einfach mehr Glück zu haben als andere. Ich weiß auch nicht, vielleicht liegt es daran, daß ich immer zugegriffen habe, wenn etwas in meine Reichweite kam, das ich haben wollte.“

Durch Stieglitz’ Objektiv erfahren wir fast alles über die Brüste und Hüften der jungen Frau. Dagegen wird ihr Antlitz der letzten zwei Lebensjahrzehnte fotografisch nicht überliefert. Das jüngste Dokument stammt aus der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Damals neigte sich auch die aktive selbstbestimmte Malerei durch die Einbuße der vollen Sehkraft dem Ende entgegen. Mit Unterstützung malt sie noch bis 1977 Ölbilder. Papierarbeiten entstehen fast bis zu ihrem Tod.

Die frühen Aktstudien des Präriekindes von 1917 zeigen unverkennbare Einflüsse der Rodin-Aquarelle, welche sie zehn Jahre zuvor in einer Ausstellung in New York sah. Und Bilder wie „Mein Vorgarten, Sommer“(1941) und „Ghost Ranch Klippe“ (1952) sind ohne Cézannes Sainte-Victoire-Bilder schwer vorstellbar. Auch wenn die Künstlerin während eines späteren Besuches in Aix jedes Interesse für den Meister bestreitet und sich im Louvre nur von Fra Angelico und buddhistischen Statuen berühren ließ. Von einer Rom-Visite wird berichtet: „Die christliche Monumentalkunst im Vatikan fand sie so abstoßend, daß sie ihren Besuch in der ewigen Stadt verkürzte.“

Es mag ihr freilich unheimlich geworden sein, als sie ihre flockigen dekorativen Etüden mit einer so grausigen bildnerischen Entschlossenheit konfrontiert sah. Die Bildausschnitte sind zwar überraschend: Der klare Himmel wird durch einen Hüftknochen gesehen, Canon-Mauern sperren den Ausblick über dem Fluß, der Durchgang im Lehmziegelhaus in scharfer Absetzung von Licht und Schatten. Aber die Umsetzung dieser grandiosen Einfälle bleibt matt und dekorativ. Callas, Petunien, Stechapfel- und Kaktusblüten werden ungelenk ins Viereck gesetzt. Die makroskopischen Darstellungen der floralen Geschlechtsorgane wurden von Stieglitz sexual-psychologisch gedeutet. Ihr vorsichtiges Opponieren dagegen verließ nie den Rahmen der kalkulierten Spannung und machte es nur pikanter.

Eine nicht talentlose, aber auch nicht belangvolle Höhere-Töchter-Kunst verschaffte Wohlstand und Berühmtheit. Das Alter überhöht sie schließlich ins Unnahbare. Die Präsidenten Gerald Ford und Ronald Reagan zeichnen sie mit höchsten Ehren aus. Sie ist Teil des geschichtslosen und kosmetischen amerikanischen Mythos geworden. Georgia O’Keeffe heißt farbig verpackte Seife, die nach Wüste riecht.

Sie überlebte Stieglitz um vier Jahrzehnte. Mit leichter Schwerpunktverlagerung führte sie dessen Projektion als Selbstinszenierung weiter. So entsteht das Paradoxon, daß die Feministinnen der siebziger Jahre die großen Blumenbilder vereinnahmen und damit an eine erzmännliche Mystifikation wilder Weiblichkeit im Stil des Fin de siècle anknüpfen. Obwohl sie einst selbst jahrztehntelang der National Woman’s Party angehörte hat die Malerin ihren kämpferischen Schwestern damals die Unterstützung verweigert.

Im Katalog wird bedauert, daß die europäische Wertschätzung so zurückgeblieben ist und sich auf das Interesse an der Person und die Auswertung in Coffee-table-books beschränkt. Und doch steht im Mittelpunkt auch dieser Ausstellung die Stil-Ikone O’Keeffe und das große quadratische Katalogbuch im Hirmer-Verlag eignet sich hervorragend für die Couchtische in den Wohnzimmern des deutschen Bildungsbürgers.

Die Ausstellung „Georgia O‘Keeffe. Leben und Werk“ ist bis zum 13. Mai in München in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 22 44 12 Der Ausstellungskatalog mit 224 Seiten kostet im Museum 25 Euro. www.hypo-kunsthalle.de

Foto: Georgia O‘Keeffe, Braune und hellbraune Blätter, Öl auf Leinwand, 1928: Höhere-Töchter-Kunst

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