© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Die Melkmaschine institutionalisieren
Buch zur Euro-Krise: Ohne mehr EU-Zentralismus ist die Währungsunion nicht durchzuhalten / Französische Auswege
Christian Schwiesselmann

Die Kritik an der Gemeinschaftswährung ist schon lange keine deutsche Spezialität mehr. Auch in Frankreich mehren sich die Stimmen der Euro-Skeptiker. Einer von ihnen ist Christian Saint-Étienne, der Industriewirtschaft an der Pariser Universität der Berufstätigen (Cnam) lehrt.

In seinem nun ins Deutsche übersetzten Buch „Das Ende des Euro“ beschreibt der frühere Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) den Euro als „tödliches Bonbon“: Er scheint vor Wechselkurskrisen zu schützen, aber er verhindert nicht, daß die volkswirtschaftlichen Disparitäten in der Währungszone wachsen.

Auch ohne die Pleiteländer Griechenland und Portugal gibt es für Saint-Étienne zwei sich ausschließende Wirtschaftsmodelle innerhalb der Euro-Zone: einerseits das exportorientierte von Deutschland, den Niederlanden sowie Österreich und andererseits Frankreich, Italien und Spanien, die trotz Handelsbilanzdefiziten nicht auf Konsum und Freizeit verzichten wollen. Bei solchen Gegensätzen läßt sich langfristig keine gemeinsame Währung aufrechterhalten.

Der französiche Regierungsberater stellt deshalb die ketzerische Frage, „ob die Beibehaltung des Europäischen Währungssystems (EWS) ohne den Vertrag von Maastricht vom Februar 1992 nicht bessere Resultate gebracht hätte als die Einführung des Euro“. Zum Beleg seiner These, daß es sich bei dem Euro-Raum nur um eine suboptimale Währungszone handelt, vergleicht er Kennzahlen wie Forschungsausgaben, Exportquote, Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und Arbeitslosenquote.

Gerade seinem Heimatland stellt der Autor dabei ein schlechtes Zeugnis aus: Ein Überschuß an öffentlichen Ausgaben im Vergleich zum Durchschnitt der Euro-Zone (6,5 Prozent 2011), die Rente ab 60, die 39-Stunden-Woche, ineffiziente Verwaltungsstrukturen und ein Rückgang der französischen Exportunternehmen seit der Jahrtausendwende. Natürlich wäre Saint-Étienne ein schlechter Franzose, wenn er eine der Ursachen der Währungskrise nicht auch dem alten „Erbfeind“ anlasten könnte: So würde die deutsche Industrie – „verstärkt durch eine Politik der inneren Lohnbeschränkungen“ – unterdurchschnittlich wettbewerbsfähige Volkswirtschaften „bei lebendigem Leibe“ auffressen, indem sie ihnen ihre Produkte aufzwingt.

Zudem empfänden die Deutschen „eine unendliche Verachtung für die Unfähigkeit Frankreichs, das unüberlegte und fruchtlose Ausufern seines öffentlichen Sektors zu kontrollieren.“ An der Spree und an der Seine, so gießt der Ökonom weiteres Wasser in den Wein der deutsch-französischen Freundschaft, gebe es unterschiedliche währungspolitische Vorstellungen: Frankreich will einen schwachen Euro, um seine schwächliche Industrie zu stützen, Deutschland möchte einen starken Euro. Das paßt wohl kaum zusammen.

Am Ende des in Frankreich bereits Anfang 2009 veröffentlichten Buches stehen drei durchaus realistische Szenarien: a) eine „überraschende“ Föderalisierung der EU, b) ein „Heftpflaster“-Szenario des Sichdurchwurstelns sowie weiterer Rettungsschirme und c) das Auseinanderbrechen der Euro-Zone aufgrund von „Demokratiemüdigkeit“. Es verwundert kaum, daß Saint-Étienne auf a) hofft, obwohl er das „Heftpflaster“-Szenario für wahrscheinlicher hält (80 Prozent).

Der französische Weg zur Lösung der Krise heißt also mehr Zentralismus und weniger Wettbewerb: Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, Budgetrechte für die EU und ein „steuerlicher Föderalismus“ sollen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen dem starken Norden und dem schwachen Süden austarieren. Hohe Steuern für Leistungsträger, niedrige Steuern und Ausgleichszahlungen für die Schuldenländer – das klingt nach Transfer-Union und vor allem danach, daß die deutsche Kuh weiter gemolken werden soll. Schlimmer noch: Der französische Anti-Henkel, immerhin Mitglied im Rat für Wirtschaftsanalyse der französischen Regierung, empfiehlt, die Melkmaschine zu institutionalisieren.

Christian Saint-Étienne: Das Ende des Euro – Szenarien für die Zeit danach. Börsenbuchverlag, Kulmbach 2012, 153 Seiten, gebunden, 24,90 Euro.

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