© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Die Werkbank der Welt wird teurer
Standortverlagerung: China will nicht länger Billigproduzent bleiben / Chance für Ungarn, Polen und Türkei
Albrecht Rothacher

Vor 15 Jahren brachte Siemens das weltweit erste Mobiltelefon mit Farbbildschirm heraus – und das S10 war natürlich „Made in Germany“. Doch schon 2005 war Schluß, die Münchner verkauften Siemens Mobile an den taiwanesischen Konzern BenQ. 2008 löste der finnische Weltmarktführer Nokia eine Protestwelle aus, als die Telefon-Produktion von Bochum nach Siebenbürgen verlagert wurde. Im vergangenen Jahr war dann auch Schluß in Klausenburg (Cluj-Napoca/Kolozsvár). Vor zwei Wochen folgte dann die Ankündigung, auch einen Großteil der Nokia-Produktion in Finnland, Ungarn und Mexiko „nach Asien“ zu verlagern.

Ob das nun automatisch „Made in China“ bedeutet, ist aber längst nicht mehr ausgemacht, denn das Reich der Mitte will nicht länger der Billigproduzent der Welt sein, der seine Umwelt und seine Arbeiter opfert, teure Rohstoffe und Energie importieren muß und als Ergebnis auf schätzungsweise 3.200 Milliarden Dollar sitzt, die es hauptsächlich in zunehmend zweifelhaften US-Schatzanleihen anlegt. Peking setzt in allen diesen Bereichen derzeit einen Kurswechsel um.

Streiks werden mittlerweile toleriert – vor allem dann, wenn es um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne bei ausländischen Unternehmen in China geht. Um zehn Prozent sollen die Löhne jährlich steigen, auch um die spürbare Inflation (vier bis sechs Prozent) auszugleichen und um soziale Unruhen zu vermeiden. Lag vor zehn Jahren der durchschnittliche Stundenlohn in China bei umgerechnet 50 Cents, so müssen jetzt im Schnitt 3,50 Dollar gezahlt werden – Tendenz steigend. China will eine kaufkräftige Mittelschichtengesellschaft werden. Das macht es als Markt interessanter – als ausgelagerte Werkbank allerdings weniger attraktiv. Dazu kommen neue Energiesteuern und schärfere Umweltauflagen.

Diese werden natürlich besonders streng bei den Werken der Ausländer kontrolliert, gibt es bei ihnen doch fette Strafzahlungen abzukassieren. Auch die Umsetzung (Kläranlagen, Schornsteinfilter, Schadstoffentsorgung) kostet Geld und schmälert den Gewinn. Um bei den massiv wachsenden Energieimporten zu sparen und die bislang hemmungslose Energieverschwendung der Unternehmen einzudämmen, führte China 2011 Energiesteuern für Öl und Erdgas ein. Die großen chinesischen Staatskonzerne der Ölbranche – Petrochina, Sinopec und CNPC – sind davon freilich ausgenommen.

Zu diesen deutlich erhöhten Produktionskosten und den zunehmenden Schwierigkeiten, die die immer hochmütiger und aggressiver auftretenden örtlichen Funktionäre für ausländische Investoren machen, kommen die bereits sattsam bekannten Altprobleme der Produktion „Made in China“: der Diebstahl von Patenten und Warenmustern, der Zwang, die vielen Hände der Apparatschiks schmieren zu müssen, die Abwerbung des frischausgebildeten Fachpersonals durch die Konkurrenz, das Nichtbezahlen von Lieferungen.

Vor Gericht, wo zumeist pensionierte Offiziere der Volksbefreiungsarmee als Richter fungieren, bekommt ein Ausländer ohnehin grundsätzlich nie recht. Auch Kredite für neue Anlagen und Warenkäufe gibt es von chinesischen Banken keine mehr. Diese sitzen auf Bergen an faulen Schulden, die die Gemeinden bei den Konjunkturprogrammen der letzten drei Jahre gemacht haben. Sie wurden von der Regierung zur Drosselung der Immobilienspekulationsblase zu Einschränkungen der Kreditvergabe verdonnert. Das erhöhte für Unternehmen die Kapitalkosten deutlich.

Nun deutet sich allerdings eine Kurskorrektur an: Vergangenes Wochenende verringerte die People’s Bank of China zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten den Mindestreservesatz für Geschäftsbanken. Sie müssen nun nur noch 20,5 Prozent ihrer Spareinlagen bei der Zentralbank hinterlegen. Bislang waren es 21 Prozent gewesen.

Preissensible Billigfertigungen werden dennoch abwandern. Vietnam, Indien und Indonesien lauten die Alternativadressen. Doch schneller als erwartet ziehen auch dort die Arbeitskosten an. Wegen der massiven Inflation fürchten die Arbeiter um ihren Lebensstandard. Im kommunistischen Vietnam gab es im Vorjahr allein 900 Streiks, bei denen die Staatsgewerkschaft Lohnabschlüsse weit über der Inflationsrate von 28 Prozent erzwang. Nicht nur Weltkonzerne wie Canon oder Intel sind davon betroffen, auch in taiwanesischen und südkoreanischen Textil- und Schuhfabriken zogen die Löhne an. Ähnlich ist die Situation in Indien und Indonesien, wo sich die örtlichen Gewerkschaften per Internet über die Löhne in Drittländern informieren und die Belegschaften mit der Nachricht empören, für die gleiche Arbeit würde in Europa und Nordamerika das Zehnfache bezahlt.

Dazu haben die Hochwasserfluten in Thailand und das Erdbeben in Tohoku im Vorjahr mit ihren Unterbrechungen der weltweiten Lieferketten für Elektronikteile und PKWs die Verletzlichkeit der globalen Arbeitsteilung durch die Konzentration bestimmter Fertigungsschritte in einzelnen Industriesonderzonen überdeutlich gemacht.

Der aktuelle Trend lautet daher: Kehrt marsch! Europäische Firmen gehen wieder gerne in Nicht-Euro-Länder wie Ungarn, Polen oder die Türkei, deren Währungen deutlich abgewertet haben. Über US-Firmen, die heimkehren, macht die Obama-Regierung aus Wahlkampfkalkül derzeit einen großen Propagandawirbel. Der Präsident spricht bereits von einem „Trend, der Hoffnung macht“.

So kam mit viel Medienbegleitung zum Beispiel der mittelständische Möbelbauer Cochrane nach zwölfjähriger Abwesenheit aus China nach Lincoln County in North Carolina zurück. Dort fand man allerdings, daß die ehemaligen Mitarbeiter mit den neuen Technologien des Möbelbaus nicht mehr umgehen konnten und erst mühsam wieder ausgebildet werden mußten. Zudem war dank der Automatisierung die Arbeitsintensität der Fertigung in den fast menschenleeren alten Fabrikhallen so gering geworden, daß nur ein Bruchteil der früheren Belegschaft wieder eingestellt wurde.

Ein Beschäftigungswunder ist von der Rückkehr der China-Fertigung nicht zu erwarten, weder in Amerika noch in Europa. Und für den wachsenden Absatzmarkt in China selbst muß ohnehin weiter vor Ort gefertigt werden, wie die geplanten massiven Produktionserweiterungen von Audi, BMW, Mercedes und VW im Reich der Mitte zeigen.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Asienexperte. Sein neuestes Buch „Demokratie und Herrschaft in Japan: Ein Machtkartell im Umbruch“ erschien 2010 im Iudicium-Verlag.

Foto: BMW-Werk im mandschurischen Shenyang/Mukden: Ein Beschäftigungswunder ist von der Rückkehr der China-Fertigung nicht zu erwarten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen