© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Graue Theorie über bunte Schmierereien
Innere Sicherheit: Eine Berliner Konferenz über die zunehmende Verwahrlosung in den Städten gerät mit der Realität in Konflikt
Lion Edler

Gewalt, Verwahrlosung und Schmierereien sind in zahlreichen deutschen Städten ein heißdiskutiertes Thema und sorgen bei vielen Bürgern für Verunsicherungen. Längst haben diese Phänomene der modernen Groß- und Kleinstädte auch die Wissenschaft auf den Plan gerufen. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin widmete sich in der vergangenen Woche dem Thema „Graffiti, Randale, Hundekot – Wie aufgeräumt und sicher können Städte sein?“

Schon zu Beginn wurde klar, daß die Experten das Problem weniger in der Sicherheitslage als in der Berichterstattung darüber sehen. So warf Holger Floeting einen Blick in die Berliner Presse und konstatierte, es handle sich um „ein Thema, wo man gerne kontrovers diskutiert und sich nicht so gerne mit Fakten auseinandersetzt und versucht, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen“. Floeting entwarf ein Dreieck, welches die „Konstruktion von Sicherheitsbildern“ darstellen sollte, und das aus den Komponenten „Mediale Sicherheitsbilder“ sowie „Subjektive Sicherheitswahrnehmung Bürger / Sicherheitsakteure“ und „Tatsächliche Sicherheitslage“ besteht.

Die ebenfalls für das Institut sprechende Antje Seidel-Schulze widmete sich der Frage, welche Gebäude und Orte denn eigentlich als unsicher gelten. Auffallend sei, daß die Verwaltungen überwiegend Orte nennen würden, bei denen eher Ordnungsverstöße als Straftaten das Hauptproblem darstellen. Als Beispiele für oft genannte Unsicherheitsfaktoren erwähnte sie die „Trinkerszene“, Prostitution und Drogenkonsum. In der Benennung der Problemzonen bestehe hohe Übereinstimmung zwischen Verwaltung und Stadtplanung: Bahnhöfe, öffentliche Plätze, Grünanlagen und so weiter. Bezüglich der Beseitigung der Mißstände ergab die Befragung der Stadtplanungsämter als häufigste Maßnahme die Neugestaltung des öffentlichen Raums, gefolgt von der Neugestaltung der Beleuchtung oder der Möblierung. Nach aller Erfahrung gelinge jedoch keine „Abschaffung von Orten“, denn die „Karawane“ ziehe einfach weiter.

Dietrich Henckel vom Institut für Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin präsentierte das Ergebnis einer Befragung von Passanten. Danach meinten entgegen der laut Henckel populären Sichtweise etwa 95 Prozent der Befragten, daß „Graffiti“ nicht dazu führten, daß Orte unsicherer würden. Es werde „gleichzeitig aber doch als Störfaktor registriert, der beseitigt werden sollte“. Für Henckel besteht hierbei ein Problem in den oft kompliziert geregelten Zuständigkeiten. So sind allein am Berliner Bahnhof Ostkreuz je nach genauem Ort unter anderem die Bundespolizei, die Landespolizei, die Berliner S-Bahn, die „DB-Sicherheit“, das „DB-Netz“, die „BVG-Sicherheit“ oder die „DB Station & Service“ zuständig.

Jan Abt vom Institut für Stadt- und Regionalplanung widmete sich dem Thema „Urbane Sicherheit und die räumlich handelnden Akteure“. Seiner Aussage nach ist für etwa 50 Prozent der Stadtplanungsämter Sicherheit ein Thema, doch nur etwa 25 Prozent könnten einen Experten hierfür benennen, und nur etwa 20 Prozent hätten auch ein Sicherheitskonzept. Der Grund hierfür liegt laut Abt darin, daß Sicherheit häufig als „ein Aspekt unter anderen“ betrachtet werde.

Die anschließende Diskussion zeigte sowohl in den Themenschwerpunkten als auch in den Positionen eine deutliche Kluft zwischen dem Publikum und den Experten auf dem Podium. Ein älterer Teilnehmer forderte etwa eine stärkere Anwesenheit von Polizisten, da durch diese ein Ort subjektiv und objektiv immer sicherer sei, ganz unabhängig von der Stadtplanung. Die erstmalige Erwähnung es Wortes „Polizei“ rief auf dem Podium eine Mischung zwischen Verwunderung und Erschrecken hervor. Ein Polizist beklagte sich daraufhin, er fühle sich „hier in einer theoretischen Veranstaltung“. Denn eine Berliner Studie habe gezeigt, daß unbeleuchtete Orte mit „Graffiti“ sehr wohl von Schülern als „Angsträume“ empfunden würden. „Das wäre mein Beitrag aus der Praxis“, schloß der Beamte sein Plädoyer.

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