© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

„Gespür für Freiheit“
Gauck war Kandidat von Rot-Grün. Doch zu Recht? Annäherung zwei: Der Liberale
Moritz Schwarz

Herr Professor Ortleb, Sie kennen Gauck aus Ihrer Zeit im Bundestag persönlich. Ist er im Grunde ein Liberaler?

Ortleb: Ein interessanter Gedanke. Aber ich kannte ihn schon als Pfarrer in Rostock, damals war ich dort Professor an der Uni. Später dann saß ich tatsächlich in dem Bundestagsausschuß, der die Gauck-Behörde kontrollierte, und hatte immer wieder Kontakt mit ihm. Persönlich hat mich beeindruckt, daß er seine erst sehr rigide Einstellung gegenüber den Stasi-Mitarbeitern geändert hat.

Inwiefern?

Ortleb: Er war in der Lage, auch die andere Seite, die Verstrickung dieser Leute, zu sehen und zu differenzieren. Für das Aber der Linken gegen ihn spielt wohl auch seine Vergangenheit als Leiter der Behörde eine Rolle. Tatsächlich aber hätte man keinen faireren Mann finden können.

Jetzt wirft „Die Linke“ Gauck vor, er befürworte Hartz IV, finde die Occupy-Bewegung „albern“ und frage sich öffentlich, „ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen“.

Ortleb: Das sind alles Positionen, die auch etwas für sich haben. Gut, daß bei der Überzahl linker Parteien im Bundestag der künftige Bundespräsident ein Gegengewicht darstellt.

Also, ist Gauck ein Liberaler?

Ortleb: Er hat sich kürzlich sinngemäß als eine Art „Linken bis Rechten“ charakterisiert. In dieser Denkweise fühle ich mich ihm weiterhin, wie damals, als ein guter Freund. Von uns beiden ist auf jeden Fall er der bessere Liberale – und ich betrachte mich als einen eingefleischten Berufsliberalen! Nun versuchen sie, ihm einen Strick daraus zu drehen. Etwa wenn ich die Frankfurter Rundschau lese: „Als Bundespräsident würde Gauck uns einiges zumuten, den Afghanistankrieg etwa könne er nicht verurteilen, den Begriff ‘Fürsorgestaat’ sehr wohl.“ Jetzt gilt er als „Präsident der kalten Herzen“.

Gauck soll gesagt haben, er wolle gegen Arme „nicht gnädig sein“, wenn sie sich verweigerten. Ist das nicht kalt?

Ortleb: Unsinn! Gauck ist Pfarrer und so spielt für ihn die Freiheit und Selbstverantwortung des Menschen eine ebenso große Rolle wie Nächstenliebe. Ich denke oft, man will in Deutschland das Konzept der Freiheit gar nicht verstehen.

Nämlich?

Ortleb: Freiheit ist für Gauck, ebenso wie für mich, eine Frage der Würde. In der DDR haben viele darauf verzichtet, um dafür Vorteile im System zu bekommen. Gaucks Thema ist seitdem der Wert der Freiheit angesichts der Verführung durch soziale Diktaturen. Und das gleiche Muster, wenn auch ohne Diktatur, existiert im Westen. Zu viele Menschen sind bereit, für Versorgung Eigenverantwortung abzugeben. Was damit auf der Strecke bleibt, ist das Gespür für Freiheit und eigene Würde. Freiheit ist etwas, für das man sich bewähren muß.

Warum war er dann rot-grüner Kandidat?

Ortleb: Die wollten wohl vor allem Merkel ärgern. Gauck ist Kurator der Stiftung Liberales Netzwerk und 2010 hat er die Freiheitsrede der Friedrich-Naumann-Stiftung gehalten. Rot-Grün soll bloß nicht so tun, als hätten sie das nicht gewußt! Nun wird aus ihrem Manöver ernst und ich sage voraus, daß Gauck allen Etablierten noch gehörig auf die Füße fallen wird.

 

Prof. Dr. Rainer Ortleb, 67, war FDP-Bundesminister und stellvertretender Bundes- sowie zweimal Landesvorsitzender der Liberalen.

 

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