© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

„Er ist anders“
Bekannt wurde Gauck als DDR-Dissident. Aber was heißt das heute? Annäherung drei: Der Bürgerrechtler
Moritz Schwarz

Herr Faust, ist Gauck „der größte deutsche Antikommunist“, wie der „Tagesspiegel“ schreibt?

Faust: Das ist eine geistlose Übertreibung. Sozialisten und Kommunisten hassen ihn, weil er gegen sie argumentiert. In einem Welt-Interview sagte er einmal: „Die Kommunisten wollten religiösen Glauben nicht. Sie ersetzten ihn durch Aberglauben und brachten Millionen Menschen um Würde und Leben.“

Die meisten Bürgerrechtler der DDR waren keineswegs Anti-, sondern eher Reformkommunisten. Warum ist Gauck anders?

Faust: Viele Bürgerrechtler nutzten die Freiräume der Kirche, waren aber keine Christen, sondern religiös Entwurzelte. Sie glaubten mehr an die marxistische Ersatzreligion als an Jesus, dem es um innere Freiheit ging – nämlich um die Freiheit zu lieben und aus der Verbundenheit mit Gott Gutes zu tun, unabhängig von äußeren Umständen. Was Gaucks Anderssein erklärt, brachte etwa die Frankfurter Rundschau auf den Punkt: „Seinen Vater verschleppten die Sowjets nach Sibirien. Erst 1955 kam er frei. Das Schicksal des Vaters, der Volksaufstand 1953: Das ist, was Gauck zu einem kritischen, antisowjetischen jungen Mann formte.“

Der „Tagesspiegel“ nennt ihn dennoch einen mutmaßlichen „Opportunisten“. Und die „taz“ höhnt: „Als Pfarrer mit Reiseprivilegien begann Gauck ziemlich genau zu dem Moment lautstark gegen die DDR zu protestieren, als dies nichts mehr kostete.“

Faust: Gauck war ehrlich genug, das nie zu leugnen. Er gab gegenüber meinem Freund Ulrich Schacht zu, daß er ein Engagement, das ins Gefängnis führt, für zu gefährlich hielt. „Mut zur Angst“ hieß mal ein Buchtitel der Linken …

Der ehemalige Bürgerrechtler werde auch heute furchtlos wagen, den Mächtigen die Meinung zu sagen – so die allgemeine Gleichung. Doch dieser Zeitung ein Interview zu geben, das wagte er schon früher nicht.

Faust: Fast alles, was er bisher sagte, würde gut in Ihre Zeitung passen. Aber Tatsache ist, hätte er es da gesagt, wäre er von keiner Partei zum Bundespräsidenten vorgeschlagen worden. Traurig, aber wahr.

Auch andere Bürgerrechtler wie Günter Nooke oder Freya Klier trauen sich nicht. Wie ist es zu erklären, daß Leute, die es wagten, der Stasi zu trotzen, heute vor der Political Correctness kuschen?

Faust: „Seid klug wie die Schlangen und sanft wie die Tauben“, heißt es in der Bibel. Sie sollten Ihre Zeitung nicht als Muttest mißbrauchen, sondern jene schätzen, die sich an Ihrer Verleumdung nicht beteiligen. Sie sollten Sympathisanten einräumen, Sie auch meiden zu dürfen.

Kann denn nun aus Gaucks damaliger Courage geschlossen werden, daß er auch heutige Tabuthemen kritisch anspricht, wie etwa die mangelnde Meinungsfreiheit in Deutschland oder die Folgen der Zuwanderung? Bisher hat er diese Mißstände konkret und aktiv kaum benannt …

Faust: Der vom Erfolg Verwöhnte wurde kürzlich – übrigens auch zu Recht – ausgepfiffen wegen seiner Polemik gegen den heutigen Stasi-Beauftragen Roland Jahn. Gauck sieht die Bundesrepublik zu unkritisch, das stimmt. Immerhin aber hat er sich nicht gegen Sarrazin gestellt. Letztlich kommt es auf mutige Journalisten an, ihm keine Frage zu ersparen!

Gaucks konsequent antikommunistische Position findet allerdings kaum ernsthafte Resonanz im politischen Alltag, wo der SED-Nachfolger Linkspartei weitgehend als normal gilt. Wird Gaucks Haltung also letztlich nichts als eine angebliche „Schrulle“ ohne Auswirkung bleiben?

Faust: Das bleibt abzuwarten. Allerdings bedenken Sie bitte: Sie haben in Ihren Fragen durchblicken lassen, daß Sie erwarten, daß Joachim Gauck sich als Bundespräsident auch für den, zum Teil ausgegrenzten, konservativen Teil des Volkes einsetzen sollte. Dieser Logik zufolge müßte er aber ebenso zum linken Teil des Volkes stehen. Das sollten Sie nicht vergessen!

 

Siegmar Faust, 67, DDR-Bürgerrechtler, Stasi-Opfer und ehemaliger Beauftragter für die Stasi-Unterlagen in Sachsen

 

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