© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Bundespräsident Joachim Gauck
Jenseits der politischen Lager
Dieter Stein

Es bedeutet ein kleines politisches Erdbeben, wie die Bundeskanzlerin vor der Opposition aus SPD und Grünen und dem ausgeschwenkten Koalitionspartner FDP kapitulieren und ihre Zustimmung zum Kandidaten „der anderen“, Joachim Gauck, geben mußte. Innerhalb von 48 Stunden nach dem überfälligen Rücktritt Christian Wulffs einigte man sich auf den Nachfolger. Das Tempo und die Wucht der Entscheidung spiegeln den hohen krisenhaften Druck, dem Deutschland im Zuge einer fortgesetzten Euro-Krise ausgesetzt ist. Man kann nicht mehr endlos herumpalavern. Für tagelange parteitaktische Spiele ist bei sich jagenden europäischen Rettungskonferenzen keine Zeit mehr.

Es sind vielschichtige und teils widerstreitende Motive, die dazu geführt haben, daß eine derart integre und mit der politischen Klasse schwer kompatible Persönlichkeit wie Joachim Gauck als Konsenskandidat durchgesetzt wurde. Rot-Grün hat ihn vor zwei Jahren aufgeboten, um die schwarz-gelbe Front zu brechen. Das taktische Motiv dominierte. Jetzt, da eine Mehrheit greifbar war, konnte die Opposition schwer von ihm abrücken. Da war es zweitrangig, daß Gauck von seiner Haltung und seinen politischen Positionen her für Teile des linksliberalen Spektrums eine erhebliche Zumutung ist – dies zeigen auch schon die anschwellenden kritischen Stimmen der letzten Tage.

Die Nominierung Joachim Gaucks ist ein Glücksgriff. Auch zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung sind die Deutschen ein verunsichertes Volk. Wir stehen im Lebensabend unserer Geschichte. Thilo Sarrazin – dem Gauck im Gegensatz zur Kanzlerin Mut für seine Thesen attestierte – hat vor zwei Jahren das drohende Szenario unserer Selbstabschaffung realistisch umrissen. Der gescheiterte Bundespräsident Wulff fand darauf mit dem kitschigen Bild von der „bunten Republik“ keine richtige Antwort.

Joachim Gauck – trotz konservativer Färbung keinem politischen Lager eindeutig zugehörig – ist es zuzutrauen, die Aussöhnung der Deutschen mit sich und ihrer Geschichte zu forcieren. Sein Plädoyer für Vaterlandsliebe und Freiheitswillen, sein beispielgebender Patriotismus könnten die Normalisierung unserer Nation befördern. Von ihm sind intellektuelle Impulse, geschichtspolitische Akzente zu erwarten, kurz: eine geistig-moralische Führung, zu der das versammelte Bundeskabinett nicht mehr in der Lage ist.

Gauck muß sich – zumal als Quasi-Einheitskandidat – von den Parteien und anderen Interessengruppen emanzipieren, will er zum wahren Volkspräsidenten werden. Demokratiepolitisch hat die informelle Allparteienkoalition die Bundesversammlung entwertet – insofern ist es höchste Zeit, die Direktwahl des Bundespräsidenten durchzusetzen. Kein anderer als Gauck könnte dies besser anpacken.

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