© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Geflügelte Töne
Ein Ehepaar aus Berlin-Wittenau belebt die alte Tradition der Haus- und Salonkonzerte neu
Christian Schwiesselmann

Was macht jemand, der keine Zeit oder keine Lust hat, in ein klassisches Klavierkonzert mit einem sich ständig schneuzenden Massenpublikum zu gehen? Er bestellt sich einfach die Musiker ins Wohnzimmer. Nach diesem Prinzip verfahren zwei Klavierliebhaber aus Berlin-Wittenau, die im Internet junge Talente und jüngere Meister am Piano zu sich einladen: „Wir bieten Musikern und Musikstudenten kostenlos die Möglichkeit, in unserem Haus ihr Aufnahme- oder Prüfungsprogramm vor einem kleinen privaten Publikum als Testlauf zu spielen“, lautet die Offerte von Patrick und Ingrid Eichenberger auf ihrer Netzseite www.hauskonzert-berlin.de.

Als Gegenleistung lockt ein schöner Konzertflügel in gediegenem Ambiente. Darauf können die Jungmusiker das Niveau der einstudierten Werke testen und den Ernstfall simulieren – „und das alles bei uns zu Hause ohne Druck“, so das deutsch-schweizerische Ehepaar, das nicht nur auf Klassik abonniert ist, sondern auch klassischen Gesang, Blues, Jazz und Countrymusik schätzt.

Zirka eine Stunde dürfen die Finger der Klaviervirtuosen im Wohnzimmer von Patrick und Ingrid Eichenberger über die Tasten hasten. Am besten am Sonntagabend, damit die beiden Hausmusikfreunde genügend Leute aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zusammentrommeln können.

„Allerdings sind auch andere Tage denkbar“, heißt es auf der Internetseite. In der Regel genießen 20 bis 40 Personen das Furioso des Virtuosennachwuchses. Auf Klappstühlen – versteht sich. Die Aussicht auf Trinkgeld motivierte manche Tastenhengste zusätzlich. Applaus und Zugaben sind auch vor Eichenbergers Sofa nicht unüblich. Auf sein Instrument ist das Ehepaar ganz besonders stolz: ein Seiler-Konzertflügel 242, Seriennummer 173.007, Baujahr 2006. Die 1849 von Eduard Seiler im schlesischen Liegnitz gegründete Pianoforte-Fabrik hatte sich im musikbegeisterten deutschen Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts einen Namen gemacht. Schon das erste Seiler-Piano zeichnete sich durch den unverwechselbar transparenten Seiler-Klang aus, schwärmt Patrick Eichenberger.

Die Idee zu den Klaviersoirees kam ihm Anfang letzten Jahres, als der Flügel geliefert wurde. Der 48jährige, der als Professor an der Züricher Hochschule für Wirtschaft unterrichtet hat, wollte seine bescheidenen Klavierkünste dem Profi-Instrument nicht zumuten: „Ich spiele miserabel Klavier und dachte, daß mich das schöne Instrument motivieren würde, häufiger zu üben“, rechtfertigt der Vater von bald vier Kindern den Kauf dennoch.

Ein voller Konzertkalender scheint das Berliner Hausmusikkonzept aufgehen zu lassen. Im vergangenen Jahr gab es vierzehn Konzerte, für das erste Halbjahr 2012 sind bereits 20 Auftritte geplant. Am Klavier geht es kosmopolitisch zu: Pianistische Einzeldarbietungen von Künstlern aus Rußland, Usbekistan, Frankreich, Italien, Japan, Korea, der Schweiz und Taiwan wechseln sich mit deutschen oder international besetzten Kammermusikensembles ab. Auch vierhändige Konzerte sind angekündigt.

Aktuell fiebern die Eichenbergers einem Auftritt des Künstlerduos Alexandra Schmiedel (Piano) und Simon Hoffmann (Cello) entgegen. Sie hoffen, daß ihr Hauskonzert die Reisekosten für das Finalvorspiel in der legendären New Yorker Carnegie Hall einspielt. In der Wohnstube ist noch Platz für Gäste.

www.hauskonzert-berlin.de

Foto: Hingabe und schwarzer Lack: Die Japanerin Melissa Gore während eines Hauskonzerts am Seiler-Flügel

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