© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Lockerungsübungen
Zweifel an Verfassungstreue
Karl Heinzen

Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat sich mit dem Phänomen befaßt, daß 27 der 76 Abgeordneten der Linken vom Verfassungsschutz beobachtet werden. In der Sitzung bemühte sich die Unionsfraktion, die Wogen der Aufregung zu glätten, indem sie darauf verwies, daß Parlamentarier wenigstens hinsichtlich der öffentlichen Aufsicht über ihre Grundgesetztreue keine Privilegien gegenüber gewöhnlichen Bürgern in Anspruch nehmen können.

Dieser Argumentation läßt sich entgegenhalten, daß Abgeordnete qua ihrer Wahl demokratisch legitimiert sind, sich nicht bloß als Einzelpersönlichkeiten, sondern als Repräsentanten des Souveräns insgesamt zu begreifen. Über die Verfassungstreue von Angehörigen der Legislative haben zudem nicht Institutionen der Exekutive zu befinden, sondern ausschließlich die Wähler selbst. Allerdings kann, seit Rechtsextremisten der Einzug in Landtage gelungen ist, nicht mehr davon ausgegangen werden, daß alle Bürger mündig genug sind, ihre Wahlentscheidung seriös zu treffen.

Die Beobachtung der Linken stützt sich nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte für deren verfassungsfeindliche Bestrebungen, sondern auf die grundsätzliche Erwägung, daß den Abwehrmaßnahmen gegen den rechten Extremismus ebensolche gegen den linken zur Seite gestellt werden müßten. Diese Parität ist jedoch fragwürdig, da eine Gleichbehandlung in der Sache nicht begründet ist. Wer „rechts“ steht, mag noch so sehr seine Grundgesetztreue beteuern. Er steht stets im Verdacht, zurück zu einer Bundesrepublik zu wollen, die ihre nationalsozialistischen Ursprünge noch nicht überwunden hatte. Wer sich zur „Linken“ zählt, knüpft hingegen an eine Tradition an, die unser Land erst zu dem gemacht hat, was es heute ist.

Vor allem jedoch ist der Extremismusbegriff als grobschlächtig und polemisch zu kritisieren. Er unterstellt, daß Zweifel an der Verfassungstreue lediglich an den Rändern eines vermeintlichen Links-Rechts-Spektrums aufkommen könnten und die „Mitte“ per se unverdächtig sei. Die gegen das Grundgesetz gerichteten Bestrebungen, die in jüngster Zeit unter dem Deckmantel der europäischen Integration auftraten, hatten jedoch genau hier ihren Ursprung. Ein Verfassungsschutz, der seinem Namen gerecht würde, müßte daher vor allem Abgeordnete von Union, SPD und Grünen ins Visier nehmen.

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