© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Der große Bluff
Euro-Krise: Statt auf Eigenverantwortung setzen die Griechen auf Almosen aus dem Norden
Philipp Bagus

Das nächste griechische Sparpaket ist beschlossen. Unter anderem sollen die bereits versprochene Verringerung der Staatsbediensteten um 150.000 bis 2015 endlich umgesetzt werden und die Minimallöhne von 751 auf 568 Euro fallen. Die Annahme der Forderungen der Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB entlockt dem Beobachter nur ein gequältes Lächeln. Denn immer ist es das gleiche Bild: Athen droht unverhohlen mit dem Staatsbankrott und erpreßt weiteres Rettungsgeld.

Letztlich ist es aber ein Bluff. Athen ist auf weiteres Rettungsgeld angewiesen, um seinen staatlichen Vergnügungspark zu unterhalten. Bei einem Staatsbankrott würden den Hellenen die Transfers aus Europa abhanden kommen. Der Staat würde real schrumpfen. Auch der Lebensstandard würde sofort fallen.

Griechenland profitiert schon lange vom Euro. Denn die Kosten des griechischen Staatsdefizits können teilweise auf andere Europäer abgewälzt werden. Athen druckt munter Staatsanleihen und verkauft sie an seine Banken. Die Banken gehen damit zur EZB und bekommen neues Geld. Die Geldmenge wächst und die Preise steigen, nicht nur in Griechenland, sondern auch im Rest der Währungsunion. So zahlen schon lange Deutsche, Franzosen und Holländer indirekt für das griechische Defizit. Im Gegenzug für das neue Geld und Anleihen ergossen sich reale Waren nach Griechenland. Die großzügigen Staatsausgaben erlaubten die Errichtung eines sozialistischen Rundumversorgers. Der Staatssektor wucherte ungehemmt. Löhne und Pensionen schraubten sich in die Höhe. Anstatt zu produzieren, importierte man lieber. Die Griechen lebten besser, als sie es ohne Euro getan hätten, die Deutschen schlechter. Würden die Rettungszahlungen eingestellt, wäre eine Teildemontage des griechischen Disneylands unvermeidlich.

Der Bluff mit der Zahlungseinstellung wird theatralisch untermalt. Kündigt die griechische Regierung minimale Kürzungen an, kommt es zu massiven Protesten auf den Straßen Athens. Die radikalen Gewerkschaften rufen Streiks aus. Die Demonstrierenden möchten nicht auf ihre Privilegien und ihren künstlich hohen Lebensstandard verzichten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die griechischen Politiker diese Proteste gerne sehen. Denn sie stärken ihre Verhandlungsposition: Seht her, wie die Leute leiden. Seid nicht so unmenschlich. Gebt uns noch mehr Geld. Gleichzeitig wird vorwurfsvoll von einem neuen deutschen Nationalismus gesprochen, weil das Geld nicht mehr so einfach nach Griechenland fließt, sondern nur im Gegenzug für Kürzungen bei den Staatsausgaben.

Von den versprochenen Kürzungen wird dann nur ein Bruchteil durchgesetzt. Weder hat Griechenland bis jetzt Strukturreformen umgesetzt, noch sein Haushaltsdefizit bedeutend reduziert. Anstatt den Sozialpark radikal abzureißen, behält man ihn bei und versucht, die Geldgeber mit weiteren Versprechungen abzuspeisen. Die Bürokratie setzt beschlossene Strukturreformen einfach nicht um. Nur bei den Steuererhöhungen ist die Regierung effektiver, kann sie doch mit mehr Steuern ihren Staatskoloß weiter pflegen. Die Rezession wird so beschleunigt, und die Steuereinnahmen aus der unter dem Fiskaldruck zusammenbrechenden Privatwirtschaft bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Die Staatsausgaben lagen 2011 trotz der angekündigten harschen Einschnitte nach den vorläufigen Zahlen mit 67 Milliarden Euro beinahe auf dem Niveau von 2010 (73 Milliarden). Dabei wurde bei den Investitionen gespart, nicht bei den Sozialausgaben. Bei Einnahmen von rund 47 Milliarden Euro ist das Defizitloch weiterhin enorm (9,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Fast ein Drittel aller Ausgaben müssen gestrichen werden, soll sich der Schuldenberg, der bei 165 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, nicht weiter erhöhen. Es fehlt am Willen. Selbst aus der Regierungskoalition stimmten 43 Abgeordnete gegen das neue Paket und wurden aus ihren Fraktionen ausgeschlossen. Im April sind Wahlen. Die neue Regierung wird sicherlich für waghalsige Versprechen gewählt. So ist auch diesmal nicht mit einer raschen oder gar vollständigen Umsetzung zu rechnen.

Die griechische Strategie ist klar: Möglichst lange den Staatssektor und Lebensstandard durch direkte und indirekte Zahlungen aus der Euro-Zone beibehalten. In der Tat wurde die griechische Sause seit der ersten Rettung schon fast zwei Jahre weiter finanziert. Und die „notleidende“ Bevölkerung nutzt das Geld klug. Sie hob 65 Milliarden Euro von griechischen Banken ab. Davon brachte sie 16 Milliarden Euro im Ausland in Sicherheit.

Dennoch wird für Athen die Luft dünner. Im November 2011, als Papandreou eine Volksabstimmung zu den Sparpaketen ankündigte, war der griechische Staatsbankrott noch bedrohlicher. Mittlerweile haben die Banken jedoch weitere griechische Papiere an die EZB verschoben und wurden im Dezember mit 500 Milliarden Euro Liquidität ausgestattet. Auf einen griechischen Konkurs sind die meisten mittlerweile gut vorbereitet.

Es wäre an der Zeit, den Staatsbankrott vollständig abzuwickeln und nicht auf Raten, indem immer neues hart erarbeitetes Geld in das hellenische Sozialparadies gekippt wird. Auch die griechische Privatwirtschaft, unschuldig an den Verfehlungen ihrer Politiker, könnte dann das Joch der Staatsschulden und hohen Steuern abwerfen. Anstatt auf Kosten anderer zu leben und von Almosen abhängig zu werden, würde die Eigenverantwortung gestärkt. Der Staatssektor müßte schrumpfen, und die Griechen wären endlich wieder angehalten Wohlstand zu produzieren, anstatt über ihre Verhältnisse zu konsumieren.

 

Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid.

 

Deutsche Risiken der Griechen-Pleite

Wieviel eine Staatspleite Griechenlands die deutschen Steuerzahler kostet, ist derzeit schwer zu beziffern. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) rechnet bei einem Schuldenschnitt von 75 Prozent mit bis zu 26 Milliarden Euro – das wären 317 Euro pro Einwohner Deutschlands. Der Hauptteil dieser Verluste (17 Milliarden Euro) fielen laut IfW im Rahmen des EZB-Systems an. Der Spiegel summiert die deutschen Risiken (unter Bezugnahme auf Zahlen des IfW und des Ifo-Instituts) bei einem kompletten Zahlungsausfall Griechenlands sogar auf 71,7 Milliarden Euro – 874 Euro pro Kopf. 30,1 Milliarden davon resultieren aus der deutschen Haftung für griechische Verbindlichkeiten im Target-2-System der EZB. 15,1 Milliarden entfielen auf das erste Griechenland-Rettungspaket. 12,8 Milliarden umfaßt der deutsche Anteil an den Aufkäufen griechischer Staatsanleihen durch die EZB. 12,5 Milliarden betragen die Risiken bei öffentlichen deutschen Banken und den staatlichen „Bad Banks“. Hinzu kommen schließlich 1,2 Milliarden, die an den Internationalen Währungsfonds (IWF) gezahlt wurden.

Foto: Gewalttätige Proteste gegen EU-Spardiktat in Griechenland: Die Kosten eines Euro-Erhalts überleben weder die Retter noch die zu Rettenden

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