© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Grüße aus Moskau
Deutsche Optimisten
Thomas Fasbender

Die Wochen vor dem russischen Karneval, der hier Butterwoche heißt, markieren den Tiefpunkt des Jahres, wenn der Winter eisiger nicht sein kann und scharfer Wind Schnee unter einem trüben Himmel treibt. Es ist Mitte Februar, doch vor neun Uhr morgens wird es nicht hell. In Sankt Petersburg weiter nördlich sogar erst eine Stunde später. Kein Wunder, daß heftig gestritten wird, ob es klug war, die Uhren im letzten Herbst nicht umzustellen. Seitdem herrscht ewige Sommerzeit, und Moskau rückt im Winter eine Stunde nach Osten – zeitlich exakt in die Mitte zwischen London und Peking. Nun sind die Kühe glücklich – deren Kummer mit der Zeitumstellung war eines der Argumente für deren Abschaffung –, dafür klagen die Menschen. Sogar im Präsidenten-Wahlkampf bewegt die morgendliche Dunkelheit die Gemüter.

Es wundert kaum, daß eine Welle von Teenager-Suiziden über das Land schwappt und heftige Diskussionen auslöst. Zwischen Irkutsk und Moskau haben sich in einer Woche sechs Heranwachsende von hohen Gebäuden gestürzt, in einer Moskauer Vorstadt zwei vierzehnjährige Mädchen Hand in Hand. Rußland leidet schon seit der späten Zarenzeit unter einer hohen Selbstmordrate. In der Altersgruppe der Pubertät führt es die weltweite Statistik an. Ein trauriger Rekord.

In der Tat bedarf es einer Portion Optimismus, an den Frühling zu glauben. Das gilt auch für die deutschsprachige Gemeinschaft, wo Selbstmord Gott sei Dank kein Thema ist. Um so mehr die Zeitumstellung: Der „Tatort“ am Sonntag beginnt jetzt im Winter erst um Viertel nach elf. Fußball, Sportschau … die Heimat ist um eine ganze Stunde fortgerückt.

Aber die deutschen Moskowiter geben nicht auf, zu viele Wintervergnügen locken. Ein Österreicher, der vor der Stadt an einem Teich wohnt, hat sich einen ganzen Satz Eisstöcke nach Moskau schicken lassen und lädt seine Freunde ein. Die Verbindungsstudenten von der Akademischen Vereinigung Moscovia, einem Kreis deutschsprachiger Farbenstudenten (web.me.com/marsman1983/A.V.Moscovia), treffen sich zur Feuerzangenbowle und am Vorabend des 23. Februar, des Gedenktags des Vaterlandsverteidigers. Doch am schönsten ist es in der Banja, der russischen Sauna, wo auf den Aufenthalt in glühend heißer Luft einige eisige Wassergüsse folgen. Wem da das Lachen nicht vergeht, der kann auch auf Schwalben und Krokusse hoffen.

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