© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Neubauten treiben Bürger auf die Barrikaden
Dresden: Zwei exzentrische Entwürfe für den Wiederaufbau des Neumarktes rund um die neuerstandene Frauenkirche sorgen für Streit
Paul Leonhard

In Dresden wird nicht nur am 13. Februar demonstriert. Das Bürgertum wagt den Aufstand. Denn es geht um ihr Heiligstes, die Bebauung des Neumarkts rund um die aus den Kriegstrümmern wie durch ein Wunder wiedererstandene barocke Frauenkirche. Die historischen Gebäude des zwischen Altmarkt und Elbe gelegenen Platzes waren 1945 – wie die gesamte Innenstadt – komplett zerstört worden. In der Nachkriegszeit wurden die Ruinen abgetragen, die Keller mit Schutt verfüllt. Lediglich die Überreste des Johanneums und der Frauenkirche blieben erhalten. Dafür entstand zwischen dem 1969 errichteten Kulturpalast und der Kunsthochschule ein riesiger Parkplatz.

Die Wiedervereinigung ging für das bürgerliche Dresden mit der Hoffnung einher, daß der Neumarkt nach historischem Vorbild wieder entsteht. Immerhin galt er bis 1945 als ein barockes Ensemble von weltweitem Rang. Der Gegenentwurf zum Wiederaufbau, die ab den siebziger Jahren modern gestaltete Prager Straße, konnte die Sehnsucht der Dresdner nach ihre alten Stadt nicht befriedigen. Wenig überzeugend waren auch jene Bauten, die nach 1990 auf den Altmarkt vor die Kreuzkirche gesetzt wurden.

Ein zweites Mal sollte das in Dresden nicht passieren. Die eigens von engagierten Bürgern gegründete „Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden“ erarbeitete frühzeitig eine Gestaltungssatzung für das Gebiet, die allerdings keine Gesetzeskraft erlangte. Diese sieht mehr als 60 Leitbauten und zu rekonstruierende Fassaden vor. Die übrigen Gebäude sollten sich harmonisch einfügen. Bei den Neubauten sollten historische Straßen- und Platzverläufe, Blickbeziehungen und eine Orientierung am typischen Dresdner Hofhaus ebenso berücksichtigt werden wie historische Parzellengrößen, Traufhöhen und Dachlandschaft.

Inzwischen sind zahlreiche Gebäude in den acht Quartieren entstanden, die vielfach den gesteckten Ansprüchen genügen. Der Neumarkt um die Frauenkirche ist als Fußgängerzone mit Cafés, Restaurants, Bars und Boutiquen zu neuem Leben erwacht. Allerdings wurde die Gestaltungssatzung nicht immer eingehalten. So entstanden auch Betonbauten mit Steinverkleidungen ohne die geforderte Putzfassade. Enttäuscht zeigte sich der ehemalige Baudezernent Gunter Just. Man habe italienisches Flair versprochen, es fehle aber jetzt „jegliche Noblesse“.

Der historisch orientierte Wiederaufbau ist nicht unumstritten. Insbesondere unter Architekten gibt es Widerstand. So erkennt Peter Kulka, der für den Neubau des Sächsischen Landtags verantwortlich ist, „Angst vor dem Neuen“. Die tieferliegenden Ursachen für den Willen nach Rekonstruktion würden im Wunsch der Dresdner liegen, daß Geschehene ungeschehen zu machen sowie in „Mythos, verlorener Identität und versuchter Heilung“. Deswegen würden „moderne Bauten“ umgesetzt als „kraftlose Gebäude“ erscheinen. Auch Thomas Will, Dresdner Professor für Denkmalpflege und Entwerfen, empört sich, daß „lediglich die Baugesetze des 18. Jahrhunderts und die Ausdrucksformen der damaligen Baumeister zurückersehnt werden“. Zeitgenössische Architektur, aufgeschlossene Bauherrn und auswärtige Architekten müßten, wenn es nach den Dresdnern ginge, draußen bleiben. In der Tat wollen die Alteingesessenen einfach ihre „gute Stube“ zurück. Sie soll wieder einer der schönsten Orte Europas werden. Das Mißtrauen gegenüber moderner Architektur scheint berechtigt. Jüngstes Beispiel ist der Konflikt um eine Lückenbebauung zwischen Kulturpalast und Heinrich-Schütz-Residenz. Hier will die Nürnberger Firma KIB ein Geschäfts-, Wohn- und Bürohaus ohne Rücksicht auf die bisher entstandenen Gebäude errichten.

Der Entwurf ist so häßlich, daß selbst Nachbarn, die Wertverluste für ihre Häuser befürchten, Widerspruch eingelegt haben. Überdies verdeckt der Neubau den freien Blick auf die Frauenkirche. Während die Dresdner gegen das Bauvorhaben Sturm laufen und damit Ende Januar sogar die Neue Zürcher Zeitung auf den Plan riefen, ist der Entwurf aus Sicht von Baubürgermeister Jörn Marx (CDU) „akzeptabel“. Es entstehe ein „hochwertiges“ Gebäude. FDP-Stadtrats-Fraktionschef Holger Zastrow spricht dagegen von einer „einfallslosen und profanen Architektur“. Ähnlich sehen es Bündnisgrüne und Linke und Teile der CDU. Zum aktiven Widerstand ruft Torsten Kulke von der Gesellschaft Historischer Neumarkt auf: Der Entwurf widerspreche dem städtebaulich-gestalterischen Konzept und sei nicht genehmigungsfähig. Da aber bereits ein Bauvorbescheid ausgereicht ist, „hilft jetzt nur noch Bürgerprotest“.

Das Ziel ist eine deutlich kleinteiligere Gestaltung und ein klassisches Dach statt des Staffelgeschosses. Im Fall des ebenfalls kritisierten Baus eines modernen Gewandhauses am Neumarkt hatten energische Bürgerproteste schon einmal Erfolg gehabt. Deswegen setzt die Stadtverwaltung erst einmal auf Zeit. Nun soll die Frage diskutiert werden, warum, so Kulke, das Stadtplanungsamt „immer wieder wissentlich und willentlich gegen die Mehrheit“ der Dresdner entscheide, die den historischen Wiederaufbau des Neumarktes will.

www.neumarkt-dresden.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen