© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

„Die haben null Ahnung“
Geschichtspolitik: In seltener Eintracht demonstrieren in Dresden Politiker mit Linksextremisten gegen den NPD-nahen Trauermarsch
Hinrich Rohbohm

Die alte Frau auf dem Dresdner Altmarkt wird kaum wahrgenommen. Ganz allein steht sie vor der Gedenkstätte an die alliierten Bombenangriffe vom Februar 1945. Sie hat eine weiße Rose auf den Boden gelegt. Nur wenige Blumen liegen bisher da. Sie erhebt sich, faltet die Hände, senkt den Kopf. In sich gekehrt verharrt sie. Mehrere Minuten lang.

Plötzlich ist sie von einer Menschenmenge umringt. Politiker, Demonstranten und Fotografen tauchen auf. Stimmengewirr, Blitzlicht und Kamera-Gesurre unterbrechen die Ruhe. Die gesamte grüne Polit-Prominenz ist zum Schaulaufen erschienen, um der Bombenopfer von Dresden zu gedenken: Cem Özdemir, Claudia Roth, Renate Künast und Jürgen Trittin. Unter den Augen der Presse legen auch sie Blumen nieder. Mit gleichgültigem Gesichtsausdruck erhebt sich Trittin. Keine zwei Sekunden dauert es, bis er der Gedenkstätte wieder den Rücken zukehrt. In die Mikrophone der Journalisten sprechen die Politiker dafür um so länger.
Worthülsen fallen. Man redet von „Flagge zeigen“, „Zivilcourage“ und „Zeichen setzen“. Davon, sich „den Nazis“ entgegenzustellen, die diesen Tag, den Gedenktag an die Bombenopfer Dresdens „mißbrauchen“ würden.

Schulklassen laufen mit Anti-Nazi-Transparenten durch die Straßen, rufen „Nazis raus“. „Unser Schülerrat hat dazu aufgerufen hierherzukommen“, sagt ein Gymnasiast. „Um die Nazis aufzuhalten.“ Gesehen habe er zwar noch keinen. „Aber die sollen hier irgendwo sein.“ Auch die Jugendlichen einer „Freizeitgruppe“ sind „wegen der Nazis hier“, sagt deren Organisator. Seine Mitstreiter sind sich nicht ganz so sicher, weswegen sie gekommen sind. „Die haben null Ahnung. Die lassen sich vor den Karren politischer Interessen spannen und wissen meist gar nicht, was 1945 geschehen ist“, schimpft ein Rentner, während sich die angereisten Politiker in die Menschenkette gegen „die Rechten“ eingereiht haben. Kleine Handzettel werden vom Bündnis „Nazifrei! – Dresden stellt sich quer“ verteilt. Die Teilnehmer werden darin aufgefordert, im Anschluß an die Menschenkette mitzukommen und sich dem Trauermarsch von NPD, Junger Landsmannschaft Ostdeutschland sowie „Freier Kameradschaften“ entgegenzustellen. Daß sich hinter dem Bündnis auch linksextremistische Organisationen verbergen, ahnen die Teilnehmer nicht.

„Danke für ihre Teilnahme an der Menschenkette. Sie haben damit ein wichtiges Zeichen für Dresden gesetzt. Können Sie noch? Dann kommen Sie doch bitte mit in Richtung Postplatz! In wenigen Minuten beginnt der Fackelmarsch der Neonazis“ steht auf einem anderen Handzettel, der unter die Leute gebracht wird. Wer dem Aufruf folgt, gelangt nichtsahnend an den Ort, wo Linksextremisten bereits einem starken Polizeiaufgebot gegenüberstehen. 6.000 Einsatzkräfte wurden in Dresden zusammengezogen. Ein Hubschrauber kreist in der Luft, Wasserwerfer werden aufgefahren. Dreifache Barrikaden sollen linksextreme Gegendemonstranten von einem Zusammentreffen mit den 1.500 rechtsextremen Teilnehmern des Trauermarsches abhalten. Langsam begreifend, in welche Situation man sie gelotst hat, machen sich einige Familien mit kleinen Kindern verstört auf den Rückweg.

Und während sich Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse beim nachmittäglichen Rundgang „Täterspuren“ noch irritiert darüber zeigte, warum so viele der Teilnehmer schwarz gekleidet seien, beteiligen sich zahlreiche Politiker von SPD, Grünen und der Linkspartei an der rechtswidrigen Blockade. Immer wieder laufen vereinzelte Gruppen von Gegendemonstranten ziellos durch die Innenstadt, kaum einer weiß so recht, wo der vermeintliche Gegner denn nun eigentlich sein soll. Manchmal kommt eine Durchsage per Megaphon, man habe „Nazis“ gesehen. Wie von Sinnen stürmen dann einzelne Gruppen zum besagten Ort, schreien „Alerta, alerta, Antifascista“. Jedoch bleibt es in diesem Jahr weitgehend friedlich.

Unterdessen herrscht beim Trauermarsch der Rechtsextremisten Totenstille. Abgeschirmt setzt sich der Troß schweigend in Bewegung. Die Route wurde stark gekürzt, die Polizei war nicht bereit, die Blockaden räumen zu lassen. Mit Fackeln und Transparenten und von der Polizei eskortiert geht es in Richtung Hauptbahnhof. 400 Meter davor wird der Trauermarsch mit einer Kundgebung beendet. Es spricht der einstige Linke und Ex-NPD-Bundesvorstandsmitglied Olaf Rose, der scharfe Kritik an den Gegendemonstranten übt. Deren Verhalten habe nichts mit Zivilcourage zu tun. Wer Zivilcourage hätte, der sei zur Kaiserzeit Sozialdemokrat, in der Weimarer Republik Nationalsozialist, im Dritten Reich Kommunist gewesen. Heute seien die Teilnehmer des Trauermarsches diejenigen, die Flagge zeigen würden.

Foto: Stilles Zeichen der Trauer um die Bombenopfer in Dresden: „Alerta, alerta, Antifascista“

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