© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Feindbild Nummer eins
Henning Hoffgaard

Hilmi Turan redet nicht lange um den heißen Brei herum. „Deutschland hat seine Vergangenheit nicht aufgearbeitet“, beklagt der Sprecher des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg. Gemeint ist natürlich die Zeit zwischen 1933 und 1945. Dies sei die „nackte Wahrheit“ und wer etwas anderes behaupte, falle auf eine „große Lüge“ und einen „Trugschluß“ herein. Der türkische Multifunktionär, in dessen Lebenslauf sich einschlägige Posten bei Gewerkschaften, Migrationsräten und türkischen Verbänden finden, legt noch einen drauf. Zwar gebe es in vielen Ländern Rassismus, in Deutschland jedoch werde dieser seit Jahren „tabuisiert“. Deswegen sei die Anteilnahme vieler Politiker für die Familien der durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“ Ermordeten auch nicht mehr als „Heuchelei“.

Er wolle jedoch niemanden konkret nennen. Das übernehmen dann andere auf dem Podium der von der SPD-Bundestagsfraktion veranstalteten Diskussionsrunde „Demokratieoffensive gegen Menschenfeindlichkeit“. Besonders oft fällt dabei der Name Kristina Schröder. Die Bundesfamilienministerin hat sich mit ihrem Festhalten an der sogenannten „Demokratieklausel“, die Empfänger von Geldern der Bundesregierung im Kampf gegen Extremismus dazu verpflichtet, sich zum Grundgesetz zu bekennen, wenig Freunde gemacht. Damit bekämpfe die Bundesregierung die „Zivilgesellschaft“, sind sich die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Mechthild Rawert und Sönke Rix sowie die Geschäftsführerin der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus, Bianca Klose, einig. Die Redebeiträge sind weitgehend inhaltsgleich. Es geht um „institutionellen Rassismus“, „Populismus“ und „Demokratie“. Die Schlagwörter sitzen. Mehr braucht es auch nicht, um an diesem Abend den etwa 50 Zuhörern im Gewerkschaftshaus am Berliner Wittenbergplatz Zustimmung zu entlocken. Damit keine Mißverständnisse aufkommen, stellt Dix, der auch im neuen Untersuchungsausschuß zur Mordserie der „Zwickauer Zelle“ sitzt, klar, mit „Demokratieoffensive“ sei keineswegs mehr Volksabstimmungen gemeint.

Nach einem kurzen Exkurs Kloses in die angebliche Lebenswirklichkeit von Projekten gegen Rechtsextremismus heißt es dann wieder „Schröder“. Die Familienministerin bleibt Feindbild Nummer eins. Mit ihrem Engagement im Kampf gegen Linksextremismus habe sie alle Extremismen gleichgesetzt. Dix selbst gibt vor, nicht zu wissen, was dieser Linksextremismus überhaupt sei. Obwohl im vergangenen Jahr nach Angaben der Bundesregierung fast 800 Menschen durch linksextreme Gewalt zum Teil schwer verletzt wurden, fallen dem SPD-Politiker nur „brennende Autos“ ein.

Schwer empört meldet sich schließlich eine Mitarbeiterin des Vereins „Gesicht Zeigen“ zu Wort. Wenn sie in Schulen gehe, um über Rechtsextremismus aufzuklären, fragten immer mehr Lehrer und Schüler, warum sie nichts zum Linksextremismus sage. Da sind auch die Referenten sprachlos.

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