© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Europas Rubikon
Euro-Krise: Der Bankrott Griechenlands ist unausweichlich / Die EU braucht ein neues Währungssystem
Wilhelm Hankel

Wann der Staatsbankrott Griechenlands kommt und wie viele Milliarden er Anleger, Zentralbanken und Steuerzahler kostet kann niemand seriös und genau vorhersagen. Wieviel davon auf Deutschland entfällt, ist ebenfalls schwer zu beziffern. Die Schätzungen gehen von 25 bis über 70 Milliarden Euro bei einem kompletten Zahlungsausfall Griechenlands aus.

In einem Punkt sind sich Euro-Retter und -Kritiker aber einig: Die Behandlung des drohendem Staatskonkurses wird nicht nur entscheiden, ob Griechenland als freier, demokratischer Staat bestehen bleibt, sondern auch ob das Euro-System noch eine Überlebenschance hat. Rechtfertigt sein Erhalt die Kolonisierung des europäischen Mezzogiorno, oder muß es, nachdem es sich als nicht mehr reparierbar erweist, durch ein anderes, besseres ersetzt werden?

Im jahrhundertealten (und heute „privatisierten“) Gold-Standard versetzte die Entdeckung einer neuen Gold-Bonanza Staat und Gesellschaft jeweils in einen Fiebertaumel, setzte jedoch das betreffende Land nicht selten äußerer Begehrlichkeit und Einmischung aus. Im Inneren demoralisierte der Geldsegen die Gesellschaft und destabilisierte meist auch den Staat, nach außen verstrickte er das Land weit mehr in Kriege statt dem Frieden zu dienen. Das zeigt die Geschichte Spaniens nach Entdeckung der Neuen Welt, Australiens nach James Cooks Reisen dorthin sowie die der USA nach den Goldgräberorgien von Kalifornien und Alaska. England nahm sich Südafrika zur Beute, nachdem sich dessen Wüsten als goldhaltig erwiesen hatten. Aufbegehrende steckte es in Concentration Camps, die ersten der Welt, lange vor Gulag und KZ.

Eine etwas andere Begleitmusik zu diesen Goldexzessen intonierte das damals goldarme Frankreich. Sein Staat (die Krone) erfand mit Hilfe eines schottischen Bankiers John Law das „Papier-Gold“, das seitdem die Welt bewegt. Der Staat gab goldgedeckte Aktien und Anleihen aus, für die es kein Gold gab, nur die vage Hoffnung auf seine Entdeckung am fernen Mississippi, wo es nie gefunden wurde. Offensichtlich sind Geschichte wie Realität das Wahrnehmungsproblem europäischer Politiker. Wo bleibt ihr Realitätssinn, ihre Lernfähigkeit? Oder fehlt es ihnen nur an Bildung und der notwendigen Sachkompetenz? Denn haargenau dasselbe hat sich im letzten Jahrzehnt mit Einführung des Euro in den südlichen Randstaaten der Euro-Zone ereignet, von Griechenland bis Portugal.

Was hat Europas Führung nicht alles beim Euro versprochen: von Helmut Schmidts Visionen von der „Großmacht Europa“ über Helmut Kohls Projekt von Europas „ewigem Frieden“ (à la Immanuel Kant) über Theo Waigels „zweite D-Mark“ bis zu Angela Merkels „Alternativlosigkeit“ in Sachen Euro-Rettung („Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“). Im Euro vereinen sich beide Stränge von Europas ältesten und fatalsten Geld-Irrungen und -Wirrungen.

Man glaubte, Geld – statt wirtschaftlicher und kultureller Austausch – bringe die Völker einander näher, „integriere“ sie. Stattdessen erntet man Undank, Gehässigkeit, Entfremdung. Man gab gutes und stabiles Geld wie die D-Mark Völkern, die es aufgrund ihrer Lebensentwürfe und -träume nur als Anreiz zu (mehr) Luxus statt Leistung (miß-)verstehen konnten. Jetzt macht man sie für das gratis servierte Galadinner verantwortlich – statt sich selber. Nachdem die Wirte (Finanzmärkte) und ihre Kontrolleure (Ratingagenturen) endlich aus ihrer Euro-Hypnose (ein griechischer Euro ist gleich einem deutschen) aufgewacht sind, kommt der Kellner mit der Rechnung. Er präsentiert die echten Kosten der Schlemmerei auf Pump: risikogerechte Zinsen und die daran ausgerichteten Kreditausfallversicherungen.

Die Traiteure sind total überrascht, daß die Gäste nicht zahlen können! Die Reaktion der Euro-Retter auf die von ihnen verursachte Krise ist ebenso bizarr wie welt- und systemfremd. Sie übernehmen die Methode afrikanischer Medizinmänner: Wenn das Thermometer gefährliches Fieber anzeigt, muß man es zerbrechen. Es ängstigt nur den Patienten. Deswegen hält man Finanzmärkte und Ratingagenturen am besten heraus aus dem Geschäft – sie machen alles nur schlimmer!

Die aufgelaufene Zeche und die Verluste kann man über Rettungsfonds (Steuergeld) und die Notenpresse (Inflation) „europäisieren“; „sozialisieren“ muß man sowas nicht mehr nennen. Etwas mehr Rechtsbruch, Ausschaltung von Marktwirtschaft, Wettbewerb und Eigenhaftung für Verluste – Europa hält das schon aus! Wirklich? Europas Politiker sind ratlos. Sollen sie die zechprellenden Gäste vor die Tür setzen? Oder sie die Rechnung in der Küche abarbeiten lassen, als Tellerwäscher? Das erste wollen sie nicht, das zweite klappt nicht. Aber es gibt ein Drittes, das immer geht: Die Gäste kochen wieder ihr eigenes Menu; es schmeckt ihnen und sie können es auch bezahlen.

Die sich selber bestens versorgenden EU-Berufspolitiker müssen erkennen: Der Euro kann nicht, „koste es was es wolle“ (EU-Kommissionschef José Manuel Barroso), gerettet werden. Denn diese Kosten überleben weder die Retter noch die zu Rettenden; bei den einen geht es um die Dauerschäden der Inflation, bei den anderen um die noch viel verheerenderen der ihnen zugemuteten Deflation. Wenn die EU überleben will, braucht sie ein neues Währungssystem. Es könnte auch das alte EWS der goldenen Zeiten vor dem Euro sein. Europas muß diesmal den Rubikon in umgekehrter Richtung überschreiten.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er klagte mit Fachkollegen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Griechenlandhilfe und den Euro-Rettungsschirm.

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