© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

Hinter den Fassaden lauert der Ruin
Der größte Maler unserer Zeiten: Gerhard Richter wird achtzig
Sebastian Hennig

Gerhard Richter wurde am 9. Februar vor achtzig Jahren in Dresden geboren. Damit gehört er nicht mehr der Generation der Flakhelfer an, sondern jener der Kinderlandverschickten. In der ländlichen Oberlausitz wuchs er auf. In Zittau, heute doppelte Grenzstadt zu Polen und der Tschechei, absolvierte er die Handelsschule und eine anschließende Lehre zum Schrift- und Reklamemaler. Das war das Rüstzeug, um zunächst an der Dresdner Kunsthochschule die Fachrichtung Wandmalerei zu studieren, und es bewährt sich bis heute.

Zum Vordiplom malte er mit zwei weiteren Studenten ein Wandbild in der Mensa. Zeitzeugen erinnern sich an eine nach Reproduktionen zusammengeschusterte Tafelrunde, die dem ästhetischen Diktum fortschrittlicher Antiquiertheit der frühen DDR entsprach: Dürer, Holbein und Picasso mit den russischen Naturalisten des 19. Jahrhunderts vereint.

Dem Elend der Dresdner Nachkriegsjahre entkam Richter dank eines angesehenen Schwiegervaters, Auto und Villa inklusive. Kurz vor dem Mauerbau wechselt er in den Westen. Unlängst wurden die Briefe publiziert, die er in den ersten Jahren nach der Übersiedlung an die zurückgebliebenen Studienkollegen schrieb: Schilderungen eines gnadenlosen, kunstfernen Getriebes, in dem man auf die eine oder andere Weise sicher verkommt. Der geborene Pragmatiker hatte nur wenig Ballast abzuwerfen, um sich unter Umständen in den Erfolg fallen zu lassen, in denen zartere Gemüter sich aus dem Fenster stürzten. Ein Sturz nach oben, für den ihm unverbindliche Nonchalance und kunsthandwerkliches Geschick zu Gebote standen.

In Grau-weiß abgemalte Foto-Unschärfen nach Vorlagen aus dem Familienalbum und Zeitungen widerspiegelten einen „Kapitalistischen Realismus“. Das scherzhaft für die Kunstaktion in einem Möbelhaus verwendete Bonmot wurde von den Kunstjournalisten übernommen, um die sarkastischen Bildkommentare der Gruppe Gerhard Richter, Sigmar Polke und Konrad Lueg zu umschreiben. Ein Vierter im Bunde, Manfred Kuttner, stieg trotz enormer Erfolgsverheißung schon zeitig wieder aus. Gerhard Richter bedient am raffiniertesten von allen lebenden Kunst-Herstellern die Doppelgleisigkeit von sentimentaler Ruhmeserhebung und nüchterner Funktionalität. Seine Außenwirkung ist weniger die eines Malerfürsten, als vielmehr eines präzisen Beamten.

Da in der öffentlichen Erscheinung von Gerhard Richters Arbeit einzelne Bilder und deren Qualität nicht in Frage kommen, soll davon weiter die Rede nicht sein. Die unkonzentrierte, kunstferne Menge wird mit Ikonen beliefert. Auf das einschlägige Publikum dagegen wird stets mit der ganzen Breite der Produktion eingeschlagen. Picasso ist der Maler des Friedensvogels. Andy Warhol stiftete die Banane für die Schallplatte von „Velvet Underground“. Und 1988 zierte die New Yorker Band „Sonic Youth“ ihr Doppelalbum „Daydream Nation“ mit einem Kerzenbild von Gerhard Richter. Zeitgleich zur großen Retrospektive in der Tate Modern vergangenen Herbst steckte die Versteigerung eines der atmosphärischen Kerzen-Abbilder bei Christie’s dem Zeitungsleser ein weiteres Licht auf über die Bedeutung ihres Produzenten. Der riß damit die Marke des teuersten lebenden Künstlers und meint: „Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise – unverständlich, albern, unangenehm.“

Vielleicht aber lohnt es sich dennoch verstehen zu wollen, was hier passiert ist. Gerhard Richter und die Finanzwirtschaft pumpen Bedeutung und Einfluß für sich noch aus der kleinsten Hütte im Winkel. Nach dem Elbehochwasser, welches manche überfällige Rekonstruktion in Dresden beschleunigte, spendeten sich die angesagten Künstler mit einer inszenierten Benefizauktion in das neue Museum im Albertinum ein. Allen voran Gerhard Richter. Der GröMaZ stammt aus Dresden. Geschickt ergreift er die vom bestrickenden Erfolg des anderen rührig gewordene Hand des einstigen Studienkollegen und Plasikprofessors Helmut Heinze. Der hilft ihm den Weg zu einem Gerhard-Richter-Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen mit bahnen. Gerhard Richters Präsenz ist seither in Dresden nicht mehr abzuschütteln, wie ein böser Traum. Pünktlich zum Geburtstag wird nun sein Bildarchiv, der „Atlas“ in der Kunsthalle auf der Brühlschen Terrasse ausgebreitet.

An der Themse endete die Ausstellung „Gerhard Richter: Panorama“ und eröffnet am 12. Februar an der Spree, bevor sie an die Seine weiterwandert. Das umgebaute Turbinenhaus in London, die sterile Gesichtslosigkeit der Neuen Nationalgalerie und das hybrid-häßliche Centre Georges Pompidou in Paris sind die gegebenen Bonbonnieren für dieses Kunstkonfekt. Der Prestel-Verlag, in dem das Katalogbuch erscheint, bewirbt es schon seit Monaten mit dem Hinweis: „Großes Medienecho: Schwerpunktthema bei Presse und TV“, samt Tragetasche, bundesweiter Großplakatierung und Publikumswerbung in den führenden deutschen Zeitungen. Ein Erfolg so unentrinnbar und berechnet, wie die weiland alljährliche, sozialistische Planübererfüllung. Hinter den Fassaden aber lauert der Ruin. Den Film zur Ausstellung „Gerhard Richter Painting“ gab es schon im vergangenen Jahr.

Widerlich changierende Biographien fördern transkontinentalen Absatz. Der Kurztitel dieser Ich-AG lautet in Englisch: „The son of a Nazi, he grew up under the Third Reich and in communist East Germany before fleeing to West Germany in 1961, just before the Berlin Wall went up.“ Das wirkt schauerlich schön, bedeutend und tief. Und „Germany’s most famous artist“ promotet sich selbst. Mit Dietmar Elger steht ihm lediglich ein Archivar und Pressesprecher zur Seite. Die Firma ist hochprofessionell im Internet präsent, und zwar auch in chinesischer Sprache (www.gerhard-richter.com).

Im neueröffneten Albertinum gibt es zwei Räume mit maßgeschneiderten Dauerleihgaben, die Bundeslade und das Buch des Richter. Generaldirektor Martin Roth, der seinen Dresdner Posten als Medien-Sprungbrett nach London nutzte deklamierte gegenüber dem Guardian: „Richter is giving Dresden its artistic future.“ Damit reiht Richter sich in eine Dresdner Zukunftstradition mit den Namen Waldapfel, Gasch, Dähn, Eisel, Hirsig und Sery ein. Die eigentliche Kunst aber durchfließt weiterhin in Dresden wie anderswo unterirdisch die Karstlandschaft kulturpolitischer Opportunitäten. In ihren unleugbaren Grenzen, ihrer Aufrichtigkeit und ebenso unbestreitbaren Güte wird sie weit eher von den stillen Dresdner Kommilitonen des gleichen Immatrikulations-Jahrgangs repräsentiert, und unter ihnen kaum von den DDR-Professoren Helmut Heinze, Claus Weidensdorfer und Wieland Förster, als vielmehr von den bis heute unspektakulär, aber qualitätvoll in ihrer Heimat arbeitenden, beispielsweise der Zeichnerin Sigrid Artes (Jahrgang 1933) und dem Radierer Bernhard Koban (Jahrgang 1931).

Die Neue Nationalgalerie in Berlin, Potsdamer Straße 50, zeigt vom 12. Februar bis 13. Mai die Ausstellung „Gerhard Richter: Panorama“. Telefon: 030 / 2 66 42 42 42

www.neue-nationalgalerie.de

Die Ausstellung „Gerhard Richter: Atlas“ ist bis zum 22. April in der Kunsthalle im Lipsiusbau Dresden, Brühlsche Terrasse, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 49 14 20 00, www.skd.museum/de

Foto: Gerhard Richter im Oktober 2008 vor seinem Bild „Abstraktes Bild (702)“ aus dem Jahr 1989: Ruhmeserhebung und Funktionalität

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