© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
In Twitter-Gewittern
Marcus Schmidt

Erika Steinbach ist neu bei Twitter. Als die CDU-Bundestagsabgeordnete vor gut zwei Monaten ihren ersten Beitrag über den Kurznachrichtendienst im Internet verschickte, rümpften viele in der zumeist linken Internetgemeinde die Nase. Von Anfang an war klar, daß Steinbach, die als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen vielen Linken eh als verkappte Rechtsextremistin gilt, unter verschärfter Beobachtung stehen würde.

In der vergangenen Woche nun schien die CDU-Politikerin die Vorurteile vieler ihrer Kritiker zu bestätigen. Steinbach hatte der leicht erregbaren Twittergemeinde einen Knochen hingeworfen, auf den sich zahllose Nutzer gierig stürzten. „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI“, ließ Steinbach in 92 Zeichen wissen und rührte damit an einem Tabu.

Was folgte, war ein Sturm der Entrüstung, der schneeballartig zu einer Lawine anwuchs. Von ungläubigem Staunen darüber, daß Steinbach die Nationalsozialisten tatsächlich als „links“ eingeordnet hatte, bis hin zu üblen Beschimpfungen war alles vertreten. „Wie lange es wohl noch dauert, bis @SteinbachErika den Holocaust leugnet?“ fragte entsetzt ein Nutzer und holte sich eine deutliche Absage von der Bundestagsabgeordneten. Ein Juso-Mitglied versuchte die Links-rechts-Debatte in die Gegenwart zu holen und offenbarte dabei ein seltsames Verhältnis zur Gewalt. „Gibt es für sie keinen Unterschied zwischen Autos anzünden und dem Anzünden eines Ausländerheims?“ fragte er erstaunt.

Angesichts dieser und anderer Entgleisungen rief Steinbach irgendwann auf dem Höhepunkt der virtuellen Debatte um den linken Charakter der Nationalsozialisten ihre Kritiker zur Mäßigung auf: „Verehrte Twittergemeinde, manche tun sich schon schwer, wenn man nicht ihre Gedanken denkt. Toleranz ist wohl ein schwierig Ding“, lautete ihr letztlich vergeblicher Appell.

Denn bald schon hatte die Diskussion die aufregende, aber dennoch überschaubare Welt der 140-Zeichen-Nachrichten verlassen. Noch am selben Tag griff Spiegel Online den Fall auf und sprach in dem gewohnt alarmistischen Ton von einem „Steinbach-Eklat auf Twitter“. Andere Medien ließen sich nicht lange bitten und zogen nach.

Dabei waren einzelne Debattenbeiträge durchaus erhellend, soweit dies auf dem begrenzten Raum der Twitter-Nachrichten überhaupt möglich ist. Der Historiker Götz Aly sprang Steinbach Anfang dieser Woche jenseits der schnellebigen Aufgeregtheit des Internets in der Berliner Zeitung inhaltlich bei und verwies unter anderem auf zahlreiche soziale Errungenschaften, die unter den Nationalsozialisten durchgesetzt wurden. „Das Gezeter um Erika Steinbach lenkt ab. Denktabus verstellen den Blick“, schloß Aly.

Steinbach zeigte sich am Ende beeindruckt von den heftigen Reaktionen und machte dabei deutlich, daß ihre Provokation kein Versehen war. „Interessant, alle Linken sind aus ihren Löchern gekommen. Provokation hat sich gelohnt !!!!! Danke, es war spannend. Bis irgendwann.“ Wenn das kein Versprechen ist.

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