© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Unverhüllte Voreingenommenheit
Barbara Tuchmans Geschichtsroman „August 1914“
Ulf Ziemann

Mit ihrer historischen Belletristik ist die 1989 verstorbene Journalistin Barbara Tuchman weiter auf dem Buchmarkt präsent. So hat der S. Fischer Verlag 2007 eine Neuausgabe ihrer Deutung der Ursprünge und der Anfangswochen des Ersten Weltkriegs („August 1914“) im Programm, von der, mit Blick auf das nahende Jubiläum der „Urkatastrophe“, bald weitere Auflagen verfügbar sein dürften.

Das Buch erschien in den USA zuerst 1962. Tuchman erhielt dafür den Pulitzer-Preis und machte dann auch mit der deutschen Übersetzung (1965) kräftig Kasse – dank Vorabdruck im Spiegel und Rudolf Augsteins Empfehlung, der den Wälzer als eine ihm im Nachklapp der „Fischer-Kontroverse“ willkommene „Nestbeschmutzung“ (Der Spiegel, 11/1964) bejubelte. Faktisch ist das wissenschaftlich beinahe wertlose Werk eine Fortsetzung angelsächsischer „Hunnen-“ oder „Anti-Nazi“-Propaganda zwischen 1914 und 1945. In diesem Milieu ist die 1912 geborene Tuchman, Enkelin von Henry Morgenthau senior und Tochter des Investmentbankers Maurice Wertheimer, der zwischen 1941 und 1943 dem American Jewish Comittee vorstand, weltanschaulich sozialisiert worden.

Ihre ersten „antifaschistischen“, schon von militanter Deutschfeindlichkeit geprägten Reportagen aus dem Spanischen Bürgerkrieg nahmen Partei für die „rote Republik“. Linksliberale Präferenzen grundierten ihre Arbeiten fortan mit ähnlicher Penetranz wie ihr prozionistisches Engagement, das sich in einem Abriß über Englands Präsenz in Palästina („Sword and Bible“, 1956) verdichtete. Vor diesem biographischen Hintergrund, den die deutsche Rezeption bis heute beharrlich ausblendet, war folgerichtig, daß „August 1914“ zur Schwarz-weiß-malerei im Stile des Hamburger Historikers Fritz Fischer geriet, der 1961 verkündete: Der preußisch-deutsche „Griff nach der Weltmacht“ löste den Ersten Weltkrieg aus. Das im Versailler Diktat vom Juni 1919 den Besiegten abgepreßte Eingeständnis ihrer „Alleinschuld“ entsprach mithin nach Fischers und Tuchmans Lesart durchaus den tatsächlichen historischen Gegebenheiten.

Da die Versailler Version der Kriegsgenese inzwischen fester Bestandteil bundesdeutscher „Erinnerungspolitik“ geworden ist, muß nicht erstaunen, wenn der Fischer-Verlag Tuchmans „August 1914“ anpreist als „weder überholt noch überboten“. Verwundern muß indes in einer weitgehend uniformen Öffentlichkeit, daß gegen ein derart offiziöses Geschichtsbild in einem altehrwürdigen Organ wie den Göttingschen Gelehrten Anzeigen von 1739 Widerspruch möglich ist. Werner Lehfeldt darf dort (Heft 1/2-2011) nämlich ausführlich gegen die „primitiven und verfälschten Geschichtsvorstellungen“ der bei Wikipedia Thukydides gleichgesetzten „Wall-Street-Bankierstochter“ (Beate Schräpel) Front machen.

In „zahlreichen Formulierungen“, so konstatiert Lehfeldt euphemistisch, gebe sich Tuchmans „Voreingenommenheit gegenüber ‘den’ Deutschen, gegenüber ‘dem deutschen Volk’ vollkommen unverhüllt“ zu erkennen. Diese offen antideutsche Stoßrichtung bedinge mangelnde „Faktengenauigkeit“ und fehlende „intellektuelle Redlichkeit“. Der psychologisierenden Hobby-Historikerin, der selbst Lobredner methodologische Antiquiertheit ankreiden, kann Lehfeldt ellenlang handwerklichen Pfusch nachweisen. Entscheidender jedoch als solche Detailkritik ist seine Feststellung, daß Tuchman die Frage nach der „Schuld“ an der Kriegsauslösung nicht aus archivalischen Quellen beantwortet. Vielmehr sei es ihre „Ignoranz“ gegenüber den Verhältnissen im Deutschen Reich vor 1914, eben ihre durch Fakten unbeeinflußbare „Voreingenommenheit“, die ihr Urteil vorab determiniere. Mit Wissenschaft habe solche „fehlerhafte Beurteilung historischer Sachverhalte“, die etwa bezüglich des „‘kriegslüsternen’“ Österreich-Ungarn „grotesk falsch, ja einfach lächerlich“ seien, gar nichts zu tun.

Gleichwohl gibt sich Lehfeldt keinen Illusionen über seine „Verwahrung gegen diesen Primitivismus“ hin, ohne den staatstragende Gedenkrhetorik hierzulande seit langem nicht mehr auskommt. Er hofft allenfalls darauf, der Fischer-Verlag möge seine „ziemlich schamlosen Reklamebehauptungen“ zu Tuchmans „Geschichtsroman“ revidieren sowie wenigstens dessen „gröbste Fehler“ tilgen.

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